Weitsichtig wirtschaften

ein Projekt der WochenKlausur

Inflation und Depression als Folge der Weltwirtschaftskrise haben Wörgl im Jahr 1932 angeregt, eine eigene Währung einzuführen und damit die lokale Wirtschaft anzukurbeln.

Das Bedürfnis nach Alternativen zu herrschenden Wirtschaftssystemen ist auch heute wieder spürbar. Manche setzen neuerlich auf Regionalwährungen oder Tauschringe, deren Notwendigkeit und Nutzen aber umstritten ist, andere auf die Neugestaltung der Finanzmärkte und die steuerliche Gleichbehandlung von Kapital- und Arbeitseinkommen.

Als Erinnerung an das Wörgler Experiment von 1932 veröffentlicht die WochenKlausur nun Texte renommierter Wirtschaftswissenschaftler zum sozialen Wirtschaften. Der Diskurs verläuft in Form einer Kettenreaktion, wobei Autorinnen und Autoren in systematischer Reihenfolge auf den jeweils zuvor veröffentlichten Text reagieren. Die Texte erscheinen ebenfalls in den Online Redaktionen sowohl der österreichischen Tageszeitung Der Standard als auch der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.

Als Tauschleistung erhalten alle an dieser Kette Beteiligten einen exklusiven Geschenkkorb mit Waren aus Wörgl – gesponsert von regionalen Wirtschaftsunternehmen

Dieses Projekt wurde ermöglicht durch die Stadtgemeinde Wörgl in Kooperation mit SPUR.

ein Projekt der WochenKlausur

Gumpendorferstr. 20
1060 Wien
Austria
Tel/Fax: +43-1-5856568
E-Mail: wochenklausur@wochenklausur.at

 

Helmut Creutz

29.07.2007

Die Sache mit dem verflixten Geld

Geld ist eine -phantastische Erfindung. So wie mit dem Rad der Transport der Güter auf eine vorher unvorstellbare Weise vereinfacht wurde, wird mit Geld der Tausch erleichtert-. Ohne seine Erfindung wäre unser heutiger Wohlstand nie möglich geworden.

Beide Erfindungen – Rad und Geld – waren aber von Anfang an mit Umlaufschwierigkeiten verbunden. Während sie beim Rad schon lange überwunden sind, kommt es beim Geld heute noch zu Umlaufsunterbrechungen und partiellen Blockierungen. Dabei kennen doch alle das Sprichwort vom Rubel, der rollen muss.

Mit Blockierungen ist nicht das Sparen bei den Banken gemeint. Das dort geparkte Geld kommt über Kredite in den Kreislauf zurück. Gemeint ist das Zurück – und Festhalten von Geld, das zu Unterbrechungen oder Verzögerungen der Nachfrage führt. Aufgeschobene Nachfrage hat liegen bleibende Angebote zur Folge, ein Herunterfahren der Produktion und damit der Beschäftigung. In letzter Konsequenz führt zurückgehaltenes Geld zu Arbeitslosigkeit.

Wie kommt es zu den Blockierungen?

Geld ist – im Auftrag des Staates von der Notenbank herausgegeben – eine öffentliche Einrichtung. Nicht nur als „gesetzliches Zahlungsmittel“, sondern auch als allgemein geltender Wertmaßstab und Tauschvermittler. Als Tauschvermittler ist es aber den einzutauschenden Gütern und der Arbeit überlegen: Es verdirbt nicht, wird nicht alt und das heißt, wenn man Geld übrig hat, ist die Versuchung groß, es für später aufzuheben, womit es jedoch für andere nicht verfügbar ist.

Wozu es bei Blockierungen öffentlicher Einrichtungen kommt, erleben wir täglich im Straßenverkehr. Dort drohen uns beim Parken auf der Fahrbahn Strafgebühren und für die Nutzung öffentlicher Parkplätze müssen wir zeitbezogene Gebühren zahlen. Beim Geld hingegen wurde das Prinzip auf den Kopf gestellt. Beim Geld werden die Blockaden mit Zins belohnt. Das heißt, Teilnehmer im Geldverkehr, denen das zurückgehaltene Geld fehlt, müssen dem Blockierer eine Freigabeprämie zahlen. Und deren Höhe wird sogar vom„Spielverderber“ bestimmt: Erscheinen ihm die gebotenen Zinsen zu gering, dann wartet er, und den Geldnachfragern bleibt nichts anderes übrig als mehr zu bieten.

Was sind die Folgen?

Die Freigabe des Geldes über Zinsen verursacht einen dauernden Einkommensstrom, der ohne reale Gegenleistung von den Geldleihern zu den Geldverleihern fließt, und damit letztlich von der Arbeit zum Besitz. Dieser Zinsstrom nimmt aber nicht mit dem Wirtschaftswachstum zu, sondern mit der Masse der Geldvermögen und Schulden, die, bedingt durch Zins- und Zinseszinseffekt, immer schneller wachsen. Daraus erklären sich sowohl die eskalierenden Spannungen zwischen Arm und Reich als auch die globale Überflutung der Welt mit Anlage suchenden Geldersparnissen. Lagen in Deutschland der 1950er Jahre die von den Banken ausgeschütteten Zinsen an die Sparer erst bei zwei bis drei Prozent der Nettolöhne, hatten sie im Jahr 2000 mit 293 Milliarden Euro bereits die Hälfte dieser Lohneinkommensgröße erreicht. Besonders problematisch ist dabei, dass sich diese Zinsströme, auf Grund des Überwachstums der Geldvermögen, immer mehr als Einnahmen bei einer Minderheit konzentrieren. Dorthin fließt auch das Gros der vom Staat gezahlten Zinsen, die seit 1970 bis heute von drei auf 66 Mrd Euro angestiegen sind. Und da diese Zinsen auf Grund der heute möglichen künstlichen Verknappung des Geldangebotes nie auf Null fallen können, geraten alle Volkswirtschaften in ein Dilemma: Entweder mit weiterem Wachstum die Umwelt zerstören oder ohne Wachstum den sozialen Frieden. Am Ende beider Alternativen stehen Kampf und Krieg.

Was ist zu tun?

Wer ein Problem lösen will, muss bei seinen Ursachen ansetzen. Die Ursache des Geldproblems sind die dauernd positiven Zinsen, die auch dann noch erpressbar sind, wenn die Volkswirtschaften die Sättigungsgrenzen erreicht haben. Überwindbar ist diese Fehlentwicklung durch Kosten für die Geldhaltung bzw. auf die Zahlungsmittel. Diese Lösung, von Silvio Gesell vor rund hundert Jahren entwickelt, hat auch der wohl bekannteste Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, John Maynard Keynes, aufgegriffen. In seinem 1937 erschienenen Hauptwerk, „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ schreibt er, dass eine solche Geldhaltegebühr, neben einer Verstetigung des Umlaufs, der „vernünftigste Weg sein (würde), um allmählich die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus loszuwerden.“

Für eine historische Umsetzung dieser Forderung steht das in der „Blüte des Hochmittelalters“ über einige Jahrhunderte in Mitteleuropa verwendete Dünnblechgeld, Brakteaten genannt, das ein bis zwei Mal im Jahr „verrufen“ und gegen Abschlag eingetauscht werden musste. Und aus dem vergangenen Jahrhundert ist vor allem „das Wunder von Wörgl“ bekannt, bei dem die Gemeindeverwaltung in der Krise der frühen 1930er Jahre ein Notgeld einführte und damit die Arbeitslosigkeit senken konnte. Die heute sich vermehrt bildenden Regio-Geld-Initiativen greifen diese Beispiele auf und regen damit auch zur Befassung mit unseren Geldproblemen an. In der Praxis dürften sie jedoch nur dann zu merkbaren regionalen Verbesserungen führen, wenn sie – wie seinerzeit in Wörgl – zumindest von den Gemeinden mitgetragen und als Zahlungsmittel anerkannt werden. Ansonsten sind die Nachteile eines solchen Zweitgeldes kaum auszugleichen.

 

Hierauf antwortet Gebhard Kirchgässner

Gebhard Kirchgässner

02.08.2007

Freigeld und Normalzins

Es gibt Ideen, die trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihrer Absurdität immer wieder faszinieren und aufgegriffen werden. Dazu gehört offensichtlich auch das ,Freigeld‘ des Silvio Gesell. Dabei ist ein Teil seiner Ideen heute verwirklicht: Die Zentralbanken der westlichen Industriestaaten sind weitgehend unabhängig, und sie verwenden ihre Instrumente, um damit die Geldmenge zu steuern, auch wenn sie dies nicht dadurch tun, dass sie bei Geldknappheit Geld drucken und bei Geldüberfluss solches vernichten. Zudem gibt es mit dem Euro in Europa heute eine übernationale Währung, auch wenn sich dem noch nicht alle Mitgliedsländer angeschlossen haben (und vielleicht auch nie anschließen werden). Problematisch ist freilich u.a., dass Gesell für den Normalzins, d.h. für den realen Marktzins für risikofreie Anlagen einen Wert von Null verlangt hat. Auf diesen Punkt will ich mich hier konzentrieren.

Zunächst klingt seine Ablehnung eines positiven Normalzinses sehr plausibel: Zins scheint Einkommen ohne reale Gegenleistung zu sein. Deshalb kannte ja auch das Christentum und kennt heute noch der Islam ein Zinsverbot. Die Verfolgung der Juden im Mittelalter hing damit zusammen, dass sie diesem Verbot nicht unterlagen, deshalb als Geldverleiher auftreten und damit gute Geschäfte machen konnten. Konnte ein einflussreicher Schuldner seine Zinsen nicht begleichen, wurde möglicherweise nicht er, sondern der wegen Wucherzinsen angeklagte Jude in den Schuldturm gesteckt, welcher freilich, um dieses Risiko abzusichern, nicht nur einen ,normalen Zins‘ für sein Geld verlangen musste, sondern auch noch eine erhebliche Risikoprämie, was es wiederum erleichterte, ihn als Wucherer zu bezichtigen.

Die Entwicklung im Mittelalter zeigt zweierlei: (i) Die Tatsache, dass (offiziell) kein Zins verlangt werden durfte, hat nicht zu Wirtschaftswachstum geführt. Vielmehr kannte das Mittelalter trotz verschiedenster kultureller Hochleistungen eher stationäre Gesellschaften. Die Abschaffung des Zinses ist weder eine notwendige, noch eine hinreichende Bedingung für wirtschaftliche Entwicklung. (ii) Der Zins lässt sich gar nicht abschaffen. Wenn man dies offiziell versucht, entsteht ein illegaler Markt, auf dem dann freilich (wie im Mittelalter) wegen der zusätzlichen Risikoprämie sehr viel höhere Zinsen zu zahlen sind.

Aber wir müssen gar nicht bis ins Mittelalter zurückblicken, um zu sehen, was eine Abschaffung des Normalzinses bedeuten würde. Schließlich wurde im 20. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten ein entsprechendes Experiment großflächig durchgeführt, indem das Zinsnehmen zwar nicht untersagt, der Maximalzins aber begrenzt war, um eine Ausbeutung der Schuldner zu verhindern. Das Ergebnis war, dass sich ein Schwarzmarkt gebildet hat, der – neben der Alkoholprohibition – die zweite lukrative Einkommensquelle der Mafia war, die ihr die Möglichkeit des Aufbaus einer Parallelgesellschaft bot, welche leider nicht mehr verschwunden ist, nachdem die Zinsen freigegeben und die Prohibition aufgehoben wurden, weil die entsprechenden Unternehmer sich nach anderen Betätigungsfeldern umsahen: Drogenhandel und Prostitution. Auch hier waren die Zinsen wegen der Risikoprämie überhöht, wobei das Risiko für den Verleiher dadurch begrenzt werden konnte, dass illiquide Schuldner notfalls liquidiert wurden, was deren Zahlungsbereitschaft auch unter erschwerten Bedingungen drastisch erhöhte.

Hinter dem Normalzins steckt offensichtlich etwas anderes als Geldgier. Menschen sind üblicherweise bereit, eine Prämie dafür zu bezahlen, wenn sie Konsum heute tätigen können, obwohl ihnen die finanziellen Mittel dafür eigentlich nicht zur Verfügung stehen. Umgekehrt erwarten sie für ihre Bereitschaft, Konsum von heute auf morgen zu verschieben, eine Belohnung. Der Zins ist der Preis, welcher den Ausgleich zwischen jenen schafft, die Konsum vorziehen wollen und jenen, die bereit sind, ihn aufzuschieben. Die hier zugrunde liegende Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse ist nicht ein Resultat der Geldwirtschaft, sondern vermutlich eine ontologische Gegebenheit des Menschen, die man nicht einfach abschaffen kann. Negiert man sie, indem man den Normalzins verbieten will, wird sich ein Schwarzmarkt mit all seinen negativen Begleiterscheinungen bilden.

Dabei ist genau diese Eigenschaft wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, und sie macht einen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tieren aus. Dass der Mensch bereit ist, Konsum hinauszuschieben, wenn er dafür später umso mehr konsumieren kann, erlaubt es, `Produktionsumwege‘ zu gehen, die es ermöglichen, zu einem späteren Zeitpunkt umso mehr zu produzieren. Damit werden Anreize zu technischer Entwicklung gesetzt. Ohne positiven Realzins fehlen solche Anreize. Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass die mittelalterlichen Gesellschaften, die das Zinsverbot kannten, kaum wirtschaftliche Entwicklung aufwiesen. Und das gleiche gilt heute für die islamischen Gesellschaften, die, soweit sie ein Zinsverbot kennen, auch nicht gerade Beispiele florierender wirtschaftlicher Entwicklungen sind, selbst wenn sie über enorme Ressourcen verfügen.

 

 

Hierauf antwortet Brigitte Unger

Brigitte Unger

06.08.2007

Rettender Engel Regionalwährung

1932 war das Schwundgeldexperiment in Wörgl von der österreichischen Nationalbank zunächst toleriert worden. Als aber die Arbeitslosigkeit in Wörgl innerhalb eines Jahres um 25% gesunken war, während sie überall anderswo stieg, wollten sich mehr als hundert Gemeinden dem Freigeldexperiment anschließen. Dies gefährdete das staatliche Monopol der Geldmengensteuerung und wurde deshalb politisch gestoppt. Der Wettbewerb mit anderen Zahlungsmitteln kommt einer Privatisierung des Geldes gleich. Aus diesem Grund sind auch heute Zentralbanken keine Freunde des Freigelds. Selbst im Eurowährungsraum sind sie nicht, wie Kirchgässner meint, Umsetzer der Freigeldidee. Sie sind ja noch stets Hüter des staatlichen Geldmonopols. Es sind vielmehr Regio-Währungen, bei denen heute Silvio Gesells Freigeldutopie verwirklicht wird.

Seit der Einführung des ´Roland´ in Bremen 2001, spriesst dieses regional gebundene Geld, das teils mit Ablaufdatum verfällt oder mit zugekauften Wertmarken im Wert erhalten werden kann, wie Pilze aus dem Boden: der Regio in München, der Chiemgauer, der Berliner, die Havelblüte von Potsdam oder meine Lieblingswährung: der Engel in Lutherstadt Wittenberg. Der Engel ist umlaufgesichert, zins- und inflationsfrei. 16 Regiowährungen zählte die Deutsche Bundesbank 2006, dreißig weitere sind in Planung. Ihr Gesamtumlauf ist derzeit freilich lediglich 200.000 Euro. Allerdings zirkuliert Regio-Währung schneller als Zentralbankgeld.

Regio-Währungen sind oft nichts anderes als Warengutscheine zur Förderung regionaler Produkte. Ein wenig erinnern sie auch an jene Bürgerinitiativen in den USA, die Kriminalität sehr erfolgreich mit privaten Nachtwächtern bekämpfen. Die Verbrecher wandern dann zwar ab, aber nur zur nächsten Gemeinde und die Kriminalität bleibt insgesamt erhalten. Aus ähnlichen Gründen sind auch die Nachteile der Globalisierung über Regio-Währungen nicht zu verhindern, obwohl sie eine Region beleben.

Gerade beim Freigeld stellt sich die Frage, welche Funktionen Geld hat. Recheneinheit, Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel, steht in den Lehrbüchern. Die letztgenannte Funktion kritisierte Silvio Gesell, der Theoretiker hinter dem Experiment in Wörgl: Wird Geld zu sehr als Wertaufbewahrungsmittel benützt, kommt es zu Nachfrageblockaden im Güter- und Dienstleistungsbereich. Neben der Abschaffung des staatlichen Geldmonopols war die Umlaufsicherung daher ein zweites Kernelement der Gesellschen Idee des Freigelds. Zinsen wurden als ungerechtfertigte Belohnung für das Entziehen von Geld aus dem realen Wirtschaftskreislauf gesehen. Also sollte ihm ein Ablaufdatum verpasst werden, das sein Horten bestraft. Beim Experiment in Wörgl waren auf jedem Geldschein zwölf Felder für Wertmarken von je 1% des Nennwerts. Wer einen Geldschein zwölf Monate lang nicht ausgab, musste alle 12 Felder mit Wertmarken bekleben und also 12% des Nennwertes Strafe bezahlen, um sie wieder in Umlauf zu bringen. Die Einnahmen daraus flossen in die Gemeindekasse. Auch heute gibt es wieder „Schwundgeld“: Der Markgräfler in Heitersheim verfällt nach einem Vierteljahr, der Waldviertler in Österreich verliert pro Quartal 2 % von seinem Wert.

Wäre Zins tatsächlich der Lohn für die Aufgabe von Liquidität, für das Aufschieben von Konsum und für sinnvolle Investitionen, dann hätte Kirchgässner recht, der Vorschlag eines Schwundgeldes wäre absurd. Allerdings bestünden dann auch die Probleme nicht, die Schwundgeld lösen will. Wären alle Mittel, die nicht konsumiert wurden, in Realinvestitionen an Unternehmer verliehen, die ihre Güter und Dienstleistungen verkaufen, dann würden die Geschäfte florieren, die Nachfrage nach Arbeit würde steigen und wir hätten keine ökonomischen Krisen. Irgendwann zuvor allerdings hätte der mexikanische Telekom Krösus Carlo Slim, als reichster Mann der Welt, noch beginnen müssen, sein Vermögen wieder auszugeben. Gefolgt von allen Reichen der Welt. Den Porsches, den Piechs, den Schäfflers und all den Durchlauchten Prinzen. Sie alle haben ja jahrelang auf Konsum verzichtet, Zinsen als Lohn für ihr geduldiges Warten erhalten und müssten nun, gemäß der Theorie des Konsumaufschubs, alles nachholen. Slim müsste 67,8 Milliarden Dollar ausgeben, Bill Gates 59,2 Milliarden, die Porsches bloß 14 Millarden Euro. Wie haben sie es bloß geschafft, auf so viel Konsum zu verzichten, damit sie ihn jetzt nachholen dürfen?

Die neoklassische Theorie des Konsumaufschubs ist die herrschende Lehrmeinung der Ökonomie zur Begründung des Zinses. Die enormen Veränderungen auf den Finanzmärkten kann sie freilich nicht begründen. Drastisch steigen seit Mitte der 1980er Jahre die Vermögen durch Finanztransaktionen. Es ist Finanzkapital, nicht Realkapital, Spekulation statt Unternehmertum, Aktienhandel statt Konsum, Wahnsinnsgewinne ohne Arbeit. Eine bis dato noch nie da gewesene Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, die es den Reichen – selbst den konsumwütigen russischen Oligarchen -bereits unmöglich macht, Ihren Reichtum zu konsumieren. 67,8 Millarden kann man einfach nicht ausgeben, es sei denn für andere.

1936 kritisierte John Maynard Keynes, dass die Zinsen durch Spekulation zu hoch werden. Er verdammte die Spekulanten und hoffte auf Einsicht in die Nutzlosigkeit ihres Daseins, weil sie nichts produzieren und ihr Geld nur weiter für Spekulationen horten. Auf diese Einsicht warten wir noch und deshalb müssen wir langsam nach anderen Möglichkeiten suchen, um Arbeitslosigkeit und Ungleichheit zu bekämpfen. Inflation wäre ein Beispiel dafür, höhere Steuern ein anderes. Das regionale Freigeld ist auch eine Möglichkeit: Das Hoffen auf die rettenden Engel.

 

 

Hierauf antwortet Götz Werner

Götz Werner

08.08.2007

Regionalwährungen und das „Altern des Geldes“

Brigitte Unger thematisierte in ihrem Text Regionalwährungen. Sie weist auf ein grundlegendes Problem unserer Geldordnung hin, das heute angegangen werden sollte.

Für viele Zeitgenossen ist noch zu wenig deutlich, worum es sich beim Geld eigentlich handelt: um eine Weltbuchhaltung von Leistungs- und weiteren sozialen Beziehungen der Menschen. Sie hilft, Probleme zu sehen und zu lösen. Die Hauptaufgabe des Geldes liegt in der Abrechnung von Güter- und Dienstleistungsströmen (kurz: Leistungsströmen) und macht uns bewusst, welche Menschen in welcher Weise an dem Füreinander der Leistungserstellung beteiligt sind. Sekundärfunktionen wie Wertaufbewahrung oder Wertmessung kann das Geld nur erfüllen, wenn es zuvor diese Primäraufgabe erfüllt.

Unsere gegenwärtige Geldverfassung hat, wie wir distanziert bemerken, zur Folge, dass immer größere Kapitalmassen, anstatt real in die Produktion von Güter- und Dienstleistungen investiert zu werden, spekulativen „Investitionen“ dienen. Wird mit diesem Finanzkapital spekuliert statt es real zu investieren, trägt es nicht zur Wertschöpfung bei. Hierdurch werden heute „Scheinwerte“ vermehrt, obwohl sich – z. b. an der Beschaffenheit einer der Spekulation zugrundeliegenden Immobilie – durch das Auf und Ab ihrer Finanzbewertung real nichts ändert. An der Börse wird umverteilt aber es werden letztlich keine Werte geschaffen (nur etwa zwei Prozent des Handelsvolumens der Börse dienen der Kapitalaufnahme der Unternehmen); es kommt so zu einer Fehlakkumulation, die durch die dabei entstehendenden Vermögensunterschiede an feudale Machtverhältnisse erinnert.

Würde das so akkumulierte Kapital investiv der Leistungserbringung für die Gesellschaft dienen, wäre das vielleicht noch zu rechtfertigen, wenngleich auch hier ein Überdenken unserer Eigentumsverfassung und ihrer Sozialverträglichkeit geboten erscheint. Fließt Geldkapital hingegen vornehmlich in die Spekulation, führt dies auf Dauer zu sozialer Erosion unserer Gesellschaft. Wie lässt sich diese Akkumulation oder Stauung des Geldes in den angesprochenen Spekulationskreisläufen verhindern oder zumindest auf ein nicht bedrohliches Maß reduzieren? Dieser Fragestellung ist Steiner (1922) unter dem bildhaften Ausdruck vom „Altern des Geldes“ in der Befassung mit Silvio Gesell nachgegangen.

An dieser Stelle erscheint ein umfassenderes Bewusstsein für das, was Geld seinem Wesen nach ist, erforderlich. Dazu sei folgende, von Hardorp in der Auseinandersetzung mit Steiners Frage vorgelegte Definition angeführt: Geld ist das gesellschaftlich (rechtlich) verbindlich geformte – in der Regel in Münzen, Noten oder digitaler Form dokumentierte – gesellschaftliche Bewusstsein von der Bewältigung sozialer Grundaufgaben durch Kaufen, Leihen oder Schenken (widmen/stiften) von erzeugten wirtschaftlichen Werten für 1.) konsumptive Leistungsbezüge (Verbrauch oder Gebrauch) zum Lebensunterhalt, 2.) unternehmerischer Initiativentfaltung in abrechenbaren Investitionsprozessen („Produktionsumwegen“) oder 3.) in finanziellen Widmungsprozessen zur Ermöglichung kultureller Entwicklungsschritte in Wissenschaft, Bildung und Kunst.

Ersteres stärkt das Bewusstsein für das Füreinander-Tätigsein (Arbeitsteilung) im allgemeinen Wertschöpfungsstrom (hier liegt auch die Bedeutung der Regionalwährungen), das zweite ist für das Bewusstsein über diese gesellschaftlich sinnvollen unternehmerischen Produktionsumwege (mit Ertragssteigerungswirkung) und deren finanzielle Abwicklung durch Kredit und Tilgung nötig. Das dritte führt zum Bewusstsein für die gesamtgesellschaftlichen Innovationsprozesse vor allem des Bildungswesens (Fähigkeitenentwicklung und –erneuerung) und der Erkenntnis der Bedeutung der finanziellen Ermöglichung und Erhaltung der geistigen Regenerationsfähigkeit einer Gesellschaft (Familie und Familienarbeit).

Jeder Versuch, diesen Stufenprozess des Geldwesens statt durch jeweils aktuelle gesellschaftliche Bewusstseinsakte der Konsensbildung durch eine automatisierte Geldentwertung (Schwundgeld) oder durch regional eng begrenzte Geldkreisläufe zu erreichen – der EURO ist in dieser Sicht eine Regionalwährung für den europäischen Raum und damit weniger eng begrenzt –, entbindet scheinbar von der Anstrengung, die jeweilige Lage, d. h. das für Widmung in Betracht kommende Zusatzertragspotenzial in der gesellschaftlichen Wertschöpfung („technischer Fortschritt“) bewusst ins Auge zu fassen und in assoziativen Konsensprozessen zu möglichen und wünschenswerten Ertragswidmungszielen zu leiten. Es mindert die Aufmerksamkeit für diese Widmung statt sie zu schärfen und real zu „justieren“.

Die als Grundeinkommen rückvergütete („negative“) Konsumsteuer trägt – wie andere Ertragswidmungen – zum Abbau des bedrohlichen Staus im Bereich des Finanzkapitals bei. Als Grundeinkommen könnte „reifes“ Geld – ein Zeichen widmungsfähiger Erträge – vermehrt konsumptiven und investiven Zwecken zufließen und den kulturellen Sektor stärken. Dies dient der gesamtgesellschaftlich notwendigen Beantwortung der Frage, wozu unsere so ungeheuer gewachsene Fähigkeit der Werteerzeugung letztlich dienen soll. Vor diese Frage stehen wir heute. Militärische Aufrüstung – weltweit werden jährlich rund 2 Billionen Dollar für militärische Zwecke ausgegeben – beantwortet sie negativ.

 

 

Hierauf antwortet Stephan Schulmeister

Stephan Schulmeister

10.08.2007

Den Zins abschaffen ist keine Lösung

Den Zins abschaffen ist keine Lösung
Knapp zusammengefasst meinen die Befürworter eines Frei- oder Schwundgeldes: Der Zins stellt eine Bremse des realen Wirtschaftskreislaufs dar, denn er fördert das Horten von Geld. Dies dämpft die realwirtschaftliche Dynamik. Gleichzeitig wird das akkumulierte Geldkapital auf den Finanzmärkten spekulativ eingesetzt, was die Wirtschaftskrise vertieft und die Ungleichheit zwischen Arm und Reich immer mehr steigert. Die Lösung bestünde darin, das Halten von Geldvermögen zu bestrafen, indem es dafür keinen Zinsertrag mehr gibt bzw. indem das Geldkapital sogar einem „Alterungsprozess“ ausgesetzt wird, sei es durch eine spürbare und permanente Inflation, sei es durch spezielle Entwertungsregeln wie beim „Schwundgeld“.

Einfache Diagnosen und Lösungen reichen selten für komplexe Entwicklungen und die daraus folgenden Probleme. Meine Einschätzung dazu: Nicht der Zinssatz an sich stellt eine fundamentale Krisenursache dar, sondern das Zusammenwirken folgender Faktoren:

• Ein permanent über der Wachstumsrate liegender Zinssatz.


• Die fortgesetzte Verlagerung des Gewinnstrebens von realwirtschaftlichen Aktivitäten zu Finanzveranlagung und –spekulation. Dazu hat neben dem seit etwa 25 Jahren positiven Zins-Wachstums-Differential die Schaffung neuer Spekulationsinstrumente (insbesondere die Derivate) wesentlich beigetragen. Aber etwa auch die Förderung der kapitalgedeckten Altersvorsorge, die steuerliche Begünstigung von Gewinnen aus Finanzspekulationen sowie die Globalisierung der Finanzmärkte und die damit verbundene Destabilisierung von Aktienkursen, Wechselkursen und Rohstoffpreisen. Diese Optionen steigern die Gewinnchancen für Spekulationen und die wiederum die Kursvolatilität.

• Die Dominanz des Neoliberalismus in Wirtschaftswissenschaft und –politik und die damit verbundenen Aufgaben einer aktiven Beschäftigungs-, Sozial- und Verteilungspolitik.
Alle diese Faktoren stehen in Wechselwirkung zueinander. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben sie ein Regime geschaffen, das ich – im Gegensatz zum „Realkapitalismus“ der ersten Hälfte der Nachkriegszeit – als „Finanzkapitalismus“ bezeichnen möchte.
Zum ersten Punkt: Aus zwei Gründen kann eine Marktwirtschaft (in der immer Unsicherheit über die Zukunft herrscht) nur dann stetig und bei Vollbeschäftigung wachsen, wenn der Zinssatz mittelfristig unter der Wachstumsrate liegt. Unter dieser Bedingung liegt die Profitrate für Realinvestitionen deutlich über dem Zinssatz, und dieser Anreiz ist nötig, um die höhere Unsicherheit von Realveranlagung im Vergleich zu einer Staatsanleihe oder einem Sparbuch auszugleichen. Außerdem kann ein Schuldnersektor wie jener der Unternehmen nur dann permanent mehr Investitionskredite aufnehmen als er an Zinsen für die bestehende Schuld zahlen muss, wenn der Zins unter der Wachstumsrate liegt. Seit Anfang der 1980er Jahre ist aber das Gegenteil der Fall, weswegen die Investitionen nachhaltig zurückgingen.
Das Wörgl-Experiment war daher makroökonomisch richtig. Damals war die Wachstumsrate negativ. Da der Nominalzins aber nicht negativ werden kann, wurde die Geldhaltung durch die „Schwundregel“ faktisch mit einem Negativzins belegt. Auch das Zinsverbot im Mittelalter machte Sinn, die Ökonomien wuchsen damals nicht.


Aber: Die Überlegungen von Gesell sind nicht allgemeingültig, sondern nur für Depressionsphasen (verschärft durch fallende Preise) relevant. Blicken wir als Kontrast dazu in die 1960er Jahre. Damals herrschte jahrelang Vollbeschäftigung, der Zinssatz war positiv, lag aber deutlich unter der Wachstumsrate. Wenn sich die Unternehmer damals zu einem Zinssatz von Null finanzieren hätten können, wäre die Inflation angesichts der voll ausgelasteten Kapazitäten deutlich gestiegen. Außerdem hätte der Zins seine (nicht nur theoretische) Funktion nicht erfüllen können, knappe Mittel zu ihrem profitabelsten Einsatz zu lenken.

In den letzten 15 Jahren hingegen wäre angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums ein Leitzins von Null (und damit Kreditzinsen von etwa 3 %) eine gute Sache gewesen. Allerdings zeigt das Beispiel des Null-Zinses in Japan, dass selbst ein temporäres „Freigeld“ allein nicht reicht, die Wirtschaft zu stimulieren. Vielmehr gilt es, die finanzkapitalistischen Rahmenbedingungen als ein „Krisensyndrom“ im Ganzen zu analysieren und als Gesamtsystem zu überwinden. Dazu gehört die Kontrolle der Aktivitäten auf den Finanzmärkten mit ihren manisch-depressiven Kursschwankungen und deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Ihr Transaktionsvolumen ist in den Industrieländern mittlerweile mehr als hundert Mal größer als deren jeweiliges nominelles Brutto-Inlandsprodukt. Manche Ökonomen werden dabei freilich eine starke „kognitive Dissonanz“ ertragen müssen. Weil doch der Grundglaube an die generell segensreiche Wirkung der „unsichtbaren Hand“ freier Märkte damit in Gefahr wäre, – und die Finanzmärkte sind ja bekanntlich die freiesten Märkte von allen.

 

 

Hierauf antwortet Adalbert Evers

Adalbert Evers

17.08.2007

Soziales Wirtschaften meint mehr – Plädoyer für eine Öffnung der Debatte

Als ich von der Künstlergruppe WochenKlausur zur Teilnahme an einer Debatte zum sozialen Wirtschaften und hier vor allem zu Möglichkeiten lokal zu handeln (think global act local…) eingeladen wurde, da hatte ich nicht vermutet, dass sich diese Debatte mit so großer Ausschließlichkeit auf Fragen der Rolle von Zins und der Möglichkeiten von Regionalwährungen konzentrieren würde. Ich möchte mit meinem Beitrag auf einige andere Bedeutungen hinweisen, die soziales Wirtschaften heute hat, nicht nur weil ich sie für wichtig halte und mich seit Jahren damit beschäftige, sondern auch aufgrund einer gewissen Skepsis gegenüber dem möglichen Bedeutungsgewinn von regionalen Währungen u. ä.

Wenn man heute auf die Suche nach Formen des sozialen Wirtschaftens geht, dann muss man allerdings mit einer Gleichsetzung brechen, die nicht nur von Neoliberalen vertreten wird: Wirtschaft ist Marktwirtschaft. Tatsächlich wirtschaften aber auch Familien und Privathaushalte (man nennt das „moralische Ökonomie“); der Staat wirtschaftet, speziell auch als Sozialstaat (mit eigenen Krankenhäusern, Wohnungsbaugesellschaften, kommunalen Betrieben bei Wasser, Energie, Verkehr…). Und last not least hat man in der Gesellschaft in den letzten 150 Jahren zahlreiche Formen anderen Wirtschaftens gefunden. Auf diesen letzten Punkt will ich mich konzentrieren. Was haben wir da?

  • altehrwürdige Einrichtungen: Genossenschaften z. B.; sie spielen seit jeher und immer noch eine große Rolle; aber auch Wohlfahrtsverbände wie die Caritas, die ebenfalls über Jahrzehnte zu Sozialwirtschaftsunternehmen eigener Art geworden sind
  • mit 1968 und den Folgen entstand in den verschiedensten Bereichen eine ganze Welle von neuen Kultur- Umwelt und Sozialprojekten, bei denen – zum Teil mit erklärtem Anspruch, zum Teil ganz beiläufig – anders gewirtschaftet wird; das gilt übrigens auch für die vielen Beschäftigungsbetriebe, die quer durch Europa versuchen, in Bereichen von allgemeinem Nutzen wenigstens vorübergehend Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen
  • „68“ hatte aber auch Auswirkungen auf die traditionellen Elemente einer „économie sociale“ (wie man in Frankreich treffend dazu sagt); oft waren sie ja darauf geschrumpft, lediglich für ihre Klientel zu sorgen, ohne dass darüber hinaus noch ein Reformfunke schlug –arrangiert mit der Macht, der sie immer ähnlicher geworden waren (man denke nur an Raiffeisen). Eine neue Generation von Managern und Sozialunternehmern weiß aber heute um die Widersprüche zwischen sozialen und kulturellen Ansprüchen und den Zwängen eines wirtschaftlichen und politischen Umfelds, das seine Prioritäten durchsetzen will und für die Chancen des anderen Wirtschaftens von „sozialen Unternehmen“ kein Gespür hat.

Es geht also nicht nur um die Zukunft einer Handvoll von Sozialinitiativen, Bürgerstiftungen, Alternativgenossenschaften etc., sondern um einen sehr großen Bereich von Umwelt-, Sozial-, und Kultur-Wirtschaftseinrichtungen. Sie alle haben gemeinsam, dass Überschüsse zu erwirtschaften nur ein Ziel neben anderen ist. Je nach sozialer Einbettung und unmittelbar mitbestimmenden Gruppen und Interessenten, sind diese oder jene „Sachziele“ (so die Ökonomensprache) sozialer, kultureller und ökologischer Art gleichrangig. Sie sind andere Organisationsformen des Wirtschaftens, bei denen das „Soziale“ nicht nur über den Wettbewerb um Kunden in die Organisation einfließt.

Ein Blick in die Zeitungen informiert darüber, was hier und heute die bedrohlichen Entwicklungen für diese real existierenden Formen sozialen Wirtschaftens sind. Die EU, viele Regierungen und Fachleute kennen nur noch eine Form des Wirtschaftens – markt-wirtschaftliche Konzepte, die durchwegs allen anderen Unternehmensformen als überlegen angesehen werden. So hält man in der Regel private Unternehmen, die staatlich reguliert werden, auch bei sozialen Aufgaben für die beste Alternative. „Gemeinwirtschaftliche“ öffentliche Betriebe und Genossenschaften/Anbieter der Wohlfahrtsverbände als alternative Partner haben eine harte Zeit. Sozial- und Kulturprojekte werden auf Nischen der Nothilfe und der Bedienung von Spezialgruppen verwiesen, die wirtschaftlich nicht von Interesse sind.

Gibt es angesichts dessen nicht eine Menge Themen und Aufgaben für eine Debatte zu sozialem Wirtschaften? Wie kann man die beim Wort nehmen, die sich zwar als Sozialunternehmen bezeichnen, aber wo eine eigenständige lokal und sozial sensible Agenda kaum noch auszumachen ist? Wie viel ist der Gemeinde in ihrem Sozialhaushalt die Unterstützung der Arbeit lokaler Kultur-, Umwelt- und Sozialinitiativen wert? Werden sie als wirtschaftlich wertvoll anerkannt? Erlaubt der gegenwärtige Umgang mit ihnen Entwicklung oder nur Überleben?

Gegenwärtig wird hinter allem Gesellschaftlichem und Sozialem das Ökonomische entdeckt – wir sprechen von Ökonomismus. Das macht es um so notwendiger, Handlungs- und Wirtschaftsformen zu denken und zu stärken, bei denen es um eine Resozialisierung von Ökonomie geht. Es gibt viel soziales Wirtschaften vor Ort, es ist bedroht und man kann in vieler Hinsicht lokal etwas dafür tun. Sollte das nicht in der weiteren Debatte berücksichtigt werden?

 

 

Hierauf antwortet Friedrich Schneider

Friedrich Schneider

21.08.2007

Wer wirtschaftet wofür

Ökonomische Aktivitäten können, wie mein Diskurspartner Adalbert Evers vor mir geschrieben hat, in der Tat unter vielen Blickwinkeln gesehen werden. Selbst wenn manch einer – wie der tschechische Präsident Vaclav Klaus – keine Adjektive wie “sozial“, ökologisch“ oder „alternativ“ vor dem Wort „Wirtschaften“ sehen möchte, weil er meint, dass Wirtschaften alleine die beste Form des Wirtschaftens wäre. Diese Ansicht teile ich keineswegs. Wirtschaften ist niemals Selbstzweck. Es ist im Gegenteil eine Methode, ein Werkzeug, um unterschiedliche Zwecke erreichen zu können. Aus den jeweils unterschiedlichen Zwecken leiten sich dann die Attribute vor dem Wort „Wirtschaften“ ab. Und obwohl – darin stimme ich mit Herrn Evers überein – marktwirtschaftliches Wirtschaften wahrscheinlich die effizienteste und produktivste Form des Wirtschaftens darstellt, hat auch diese Form das Attribut „marktwirtschaftlich“, mit dem es uns über den dahinter liegenden Zweck einiges erzählt.
In unserer Gesellschaft gibt es nun außer der marktwirtschaftlichen auch andere Notwendigkeiten des Wirtschaftens, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der staatlichen Fürsorgepflicht. Und es gibt vor allem immer auch die Möglichkeit, dass entweder der Markt oder die Politik versagen. Daher sollte mit allen Überlegungen zur Marktwirtschaft und zur Demokratie immer auch eine Suche nach geeigneten Institutionen verbunden sein, um mögliche Unfälle zu minimieren. An welche Institutionen denken Sie da zum Beispiel?

Aus allen Erfahrungen mit anderen Wirtschaftsexperimenten (im Faschismus, im Sozialismus und im Kommunismus der verschiedensten Ausprägungen) wissen wir, dass die Marktwirtschaft zwar zur Zeit ein unabdingbares Instrument des Zusammenlebens darstellt, dass sie aber in einen sozialen, legalen und in einen ökologischen Rahmen eingebettet werden muss. Übertreibt der Staat diese Einbettung, weichen die Individuen aus. Dieses Ausweichen manifestiert sich zum Beispiel in einer blühenden Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit. In manchen Ländern hat diese Parallelwirtschaft 10-15% des offiziellen Bruttosozialproduktes erreicht. Daran lässt sich erkennen, dass Individuen bei überbordender staatlicher Regulierung und Steuerbelastung beziehungsweise bei anderen staatlichen Einschränkungen mit Eigeninitiativen auf andere Wirtschaftsformen ausweichen. Die Schattenwirtschaft kann daher zu Recht als „Steuer- und Regulierungsrebellion“ der Durchschnittsbürger bezeichnet werden.
Auf der anderen Seite ist es nun aber genauso wichtig, eine soziale Abfederung in unserer Gesellschaft zu erreichen und endlich energisch die Lösung der ökologischen Probleme in Angriff zu nehmen. Dafür braucht es viel Einsicht, insbesondere bei den Konsumenten, denn nur, wenn diese ihr Verhalten ändern, können ökologische Ziele im Verbund mit der Politik und der Marktwirtschaft erreicht werden. Aus meiner Sicht ist es daher besonders wichtig, nüchtern, ohne Scheuklappen und ohne Polemik eine Debatte darüber zu führen, wie viel wir an staatlichen Eingriffen bzw. an Regulierungsmaßnahmen (sowohl im sozialen als auch im ökologischen Bereich) brauchen und wie viel wirtschaftliche Freiheit und Liberalisierung auf der anderen Seite notwendig sind, damit die Volkswirtschaft qualitativ wie quantitativ wächst und gleichzeitig die gestiegenen Sozialleistungen und ökologischen Ansprüche nachhaltig finanziert werden können.

Niemand hat eine Patentantwort auf diese Fragen. Aber Beispiele aus einigen Ländern, wie der Schweiz, in denen die Steuerzahler mit Hilfe der direkten Demokratie und kleiner übersichtlicherer Strukturen die Möglichkeit haben, entsprechend mitzubestimmen, zeigen, dass sowohl soziale als auch ökologische Probleme einer Lösung zumindest leichter näher geführt werden können. Es bringt nämlich rein gar nichts, den Menschen von oben herab vorzuschreiben, wie viel an Sozialstaat und wie viel an Ökologie sie benötigen, wenn sie die Notwendigkeit dafür nicht verstehen und voll akzeptieren. Die meisten unserer gravierenden, sozialen, ökologischen oder ökonomischen Probleme lassen sich nur bottom–up also mit Einsicht und Wollen der betroffenen Bürgern lösen.

 

 

Hierauf antwortet Jörg Huffschmid

Jörg Huffschmid

22.08.2007

Soziales Wirtschaften erfordert politische Konfliktbereitschaft

Dass sich die „meisten unserer gravierenden sozialen, ökologischen oder ökonomischen Probleme … nur bottom-up, also mit Einsicht und Wollen der betroffenen Bürger lösen (lassen)“, darin stimme ich mit Herrn Schneider überein. Mein Verständnis dessen, was damit gemeint ist, unterscheidet sich jedoch erheblich von seinem. Die meisten unserer großen sozialen und ökologischen Probleme sind nicht aus mangelnder Einsicht der Betroffenen entstanden. Sie sind das Ergebnis von Mechanismen und Machtverhältnissen, die den Einzelnen als objektive Sachzwänge – der Globalisierung, der Finanzmärkte – erscheinen, an denen sich wenig ändern lässt. Hinter diesen stehen Personen, Unternehmen und Institutionen, die von den Missständen profitieren und daher versuchen, die grundlegenden Strukturen aufrechtzuerhalten. Das ist natürlich kein „weitsichtiges Wirtschaften“, aber es ist die Wirklichkeit der kapitalistischen Marktwirtschaft. In ihr wächst der Reichtum einer Minderheit, während gleichzeitig Armut und soziale Notlagen zunehmen. Weltweit, in Europa und in den einzelnen Ländern. Die allermeisten Menschen können sich nicht aussuchen, ob und wie sie arbeiten wollen. Sie sind darauf angewiesen, die Arbeit anzunehmen, die sie kriegen können. Viele bleiben trotz Arbeitsbereitschaft arbeitslos. Die meisten arbeiten fremdbestimmt in einem Rhythmus, mit Methoden und an Produkten, auf die sie kaum einen Einfluss haben. Vielfach haben Finanzinvestoren das Kommando übernommen. Sie verfolgen nur noch den Zweck, das Geld, das an der Spitze der Gesellschaft angehäuft wird, weiter zu vermehren. Mit der Drohung der Abwanderung setzen sie Regierungen und Parlamente unter Druck, die Gewinnsteuern zu senken, öffentliche Güter zu privatisieren, Sozialleistungen abzubauen. Sie verursachen regelmäßig ökonomische Krisen, von denen in erster Linie die Menschen betroffen sind, die hierfür keinerlei Verantwortung tragen.

Der Hinweis auf den letztlich selbstzerstörerischen Charakter dieser Art des Wirtschaftens ist zwar richtig, hilft jedoch wenig, solange die Rahmenbedingungen weiterbestehen: die Dominanz und Konkurrenz privater Unternehmen auf weitgehend deregulierten Märkten. Die Suche nach „dezentralen, zivilgesellschaftlichen und direkt demokratischen Institutionen“ von denen Herr Schneider spricht, ist zwar sympathisch. Die Beschränkung hierauf läuft aber Gefahr, die ökonomische und politische Großwetterlage aus dem Auge zu verlieren. „Weitsichtiges Wirtschaften“ erfordert auf die Dauer die Änderung dieser Großwetterlage und der dahinter stehenden Machtverhältnisse. Die Herausforderung besteht in einer durchgreifenden Demokratisierung der Wirtschaft: in den Betrieben und Unternehmen, in den Regionen, den Staaten und in den internationalen Institutionen. Eine solche Demokratisierung ist nicht durch Appell an die Einsicht derer zu haben, die von undemokratischen Strukturen profitieren. Sie muss gegen sie durchgesetzt werden. Dabei können Initiativen für lokale und regionale Vernetzungen, Tauschringe etc. nützlich sein, indem sie zeigen, dass Wirtschaften auch anders geht als in hektischer Konkurrenz. Mindestens ebenso wesentlich und letztlich entscheidend erscheinen mir jedoch der Widerstand und eine breite Mobilisierung gegen die Politik des Neoliberalismus – also gegen Sozialabbau, die Privatisierung öffentlicher Güter, die Delegation der Alterssicherung an die Finanzmärkte usw. Dieser Widerstand gewinnt an Kraft, wenn ihn überzeugende Konzepte darüber begleiten, wie eine andere, für „soziales Wirtschaften“ günstige Wirtschaftspolitik aussehen könnte. Deren Eckpunkte sind in meiner Sicht

  • eine gesamtwirtschaftliche Steuerung, die durch öffentliche Investitions- und Beschäftigungsprogramme sowie Arbeitszeitverkürzung Vollbeschäftigung herbeiführt, bei der alle, die arbeiten können und wollen, einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz finden, von dessen Erträgen sie ein selbständiges Leben führen können,
  • eine Strukturpolitik des ökologischen Umbaus vor allem in der Energie- und Verkehrspolitik, in der Landwirtschaft und bei den privaten Haushalten;
  • eine Sozialpolitik, die die Absicherung der Menschen gegen die Risiken der Armut, der Krankheit und Arbeitslosigkeit als Aufgabe gesellschaftlicher Solidarität betrachtet
  • die energische Verteidigung und den Ausbau und demokratische Reform des öffentlichen Sektors und seine Finanzierung durch eine Steuerpolitik, die die Einzelnen gemäß ihrer Leistungsfähigkeit – d.h. durch eine deutlich progressive Einkommensteuer sowie Vermögens- und Erbschaftssteuern – heranzieht und Steuerflucht verhindert,
  • in der internationalen Wirtschaftspolitik die Orientierung auf internationale Kooperation, Ausgleich und Entwicklungsförderung,
  • die Kontrolle der Finanzmärkte und ihre Einbindung in den wirtschaftspolitischen Rahmen für nachhaltige Entwicklung.

Die Durchsetzung solcher Vorstellungen erfordert nicht nur Vernunft und Einsicht, sondern auch Konfliktbereitschaft.

 

 

Hierauf antwortet Guido Hülsmann

Guido Hülsmann

30.08.2007

Soziales Wirtschaften: besser ohne Staat

Soziale, ökologische und ökonomische Probleme lassen sich letztlich nur durch Initiativen der betroffenen Individuen und Gruppen lösen. Doch diese Basiskräfte können nicht viel ausrichten, wenn die politisch definierten gesellschaftlichen Spielregeln immer wieder genau jene Probleme erzeugen und verstärken. Nun stehen hinter dieser widersinnigen Politik „Personen, Unternehmen und Institutionen, die von den Missständen profitieren und daher versuchen, die grundlegenden Strukturen aufrechtzuerhalten.“ Um einer Lösung näher zu kommen, muss man sich daher diesen Interessenten entgegenstemmen. Fortschritt „erfordert nicht nur Vernunft und Einsicht, sondern auch Konfliktbereitschaft.“

Mit diesen Feststellungen liegt Herr Huffschmid völlig richtig. Allerdings sehe ich die Ursachen der Probleme des sozialen Wirtschaftens ganz anders als er. Seiner Meinung nach sind die weitgehend unregulierten Märkte die Wurzel allen Übels. Der Staat nimmt den Markt nicht eng genug an die Leine, und dieser Markt erzeuge dann eben Krisen und Armut und vernichtet die Umwelt. Als Ausweg empfiehlt er eine „durchgreifende Demokratisierung der Wirtschaft“ und eine stark dirigistische Wirtschaftspolitik, von der er behauptet, dass sie für soziales Wirtschaften günstig sei.

Ich halte sowohl diese Diagnose, als auch die Therapie für falsch. Der Kern unserer Divergenz liegt darin, dass ich im Gegensatz zu Herrn Huffschmid den Glauben an die Theorien des Marktversagens gründlich verloren habe. Natürlich kann es auf dem freien Markt zu Krisen, Armut und Umweltzerstörung kommen; aber der kausale Zusammenhang ist negativ: je unbehinderter der Markt, desto weniger Krisen, Armut und Umweltzerstörung.

Ganz offensichtlich erzeugt „unser Wirtschaftssystem“ solche Probleme. Doch dieses System ist eben alles andere als eine freie Wirtschaft. Ich finde es geradezu phantastisch, wie man angesichts eines Staatsanteils von ca. 50 Prozent und angesichts der Allgegenwart staatlicher Behörden und staatlicher Reglementierungen nicht auf den Gedanken kommen kann, dass hier vielleicht die eigentliche Ursache von Krisen, Armut und Umweltproblemen liegen könnte; und dass somit das Hauptproblem sozialen Wirtschaftens darin besteht, sich in einer Gesellschaft behaupten zu müssen, die sich so sehr in den Bock verliebt hat, dass sie ihn unbedingt zum Gärtner machen möchte.

Mir ist klar, dass diese Zeilen für die meisten Leser wie von einem anderen Stern klingen. Daran lässt sich in einer kurzen Stellungnahme auch nichts ändern (und ich will den wirklich Interessierten nicht die Freude nehmen, sich durch weitergehende Lektüre ein genaueres Bild zu verschaffen). An dieser Stelle will ich daher nur anhand eines Beispiels skizzenhaft darlegen, wo ich die falsche politische Weichenstellung sehe: nicht im Markt, sondern im Etatismus.

Die vor einigen Wochen ausgebrochene Krise auf den weltweiten Finanzmärkten ist die geradezu zwangsläufige Folge unserer modernen Währungsordnung, dessen Rückgrat die vom Staat inthronisierten Papiergeldproduzenten, also der Zentralbanken sind. Der Staat hat das Papiergeldsystem gewollt, weil es ihm größere Möglichkeiten der Kreditfinanzierung verschafft. Aber damit schuf er gleichzeitig auch eine von Verantwortungslosigkeit und Leichtsinn getriebene Dynamik auf den Finanzmärkten. Kapitalisten wissen, dass die Zentralbanken bereitstehen, einen Einbruch dieser (nicht zuletzt für den Staat wichtigen) Märkte durch vermehrte Geldproduktion zu unterbinden. Sie haben daher den perversen Anreiz, ihre Investitionen mit möglichst viel Fremdmitteln und möglichst wenig Eigenkapital zu finanzieren. Aber dadurch vergrößert sich natürlich ihre Anfälligkeit, und somit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbanken wie in unseren Tagen zu eben solchen Rettungsaktionen gezwungen werden – wodurch dann jener perverse Anreiz noch weiter verstärkt wird usw. usf.

Ganz ähnlich war auch die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre nicht ein Auswuchs vermeintlich instabiler Finanzmärkte, sondern entsprang langjährigen währungspolitischen Interventionen, die die Marktteilnehmer zu leichtsinnigen Engagements verführt hatten. Der 1932er Tauschring in Wörgl war letztlich eine Reaktion auf eine vom Staat geschaffene Depression.

Wir brauchen heute sehr dringend eine liberale Alternative zum herrschenden etatistischen Wirtschaftssystem. Sicherlich wird es nicht einfach sein, diese Alternative gegenüber dem etablierten Interessenkartell aus Politikern, Beamten, Intellektuellen und Unternehmern durchzusetzen. Aber sollte es gelingen, würde sowohl das profitorientierte, wie auch das soziale Wirtschaften zu den Gewinnern zählen. Im Moment ist soziales Wirtschaften ganz vornehmlich ein Reparaturbetrieb für die Kollateralschäden des staatlichen Aktivismus. In dem Maße, in dem der Staat zurückgedrängt wird, kann es endlich seine eigentliche Aufgabe wahrnehmen und ergänzend zum Markt produzieren.

 

 

Hierauf antwortet Elmar Altvater

Elmar Altvater

05.09.2007

Eine neoliberale schwarze Utopie

Guido Hülsmanns Replik auf Jörg Huffschmid ist schnoddrig, daher erfrischend, aber gar nicht radikal und obendrein ein grandioser Unfug. Er hätte wie der Staubsauger im alten Beatles Film „The Yellow Submarine“ sich selbst aufsaugen müssen. Wenn schon ohne Staat, dann bitte auch ohne staatlich direkt oder indirekt finanzierte Professoren. Überhaupt sollte sich jeder „Professor“ nennen können. Und die Kinder sollen nicht auf öffentliche Schulen gehen. Öffentlicher Nahverkehr möge verschwinden und das private Automobil endlich zu seinem Recht kommen. Aber bitte auf privat finanzierten Straßen, nicht auf öffentlichen. Die Bahn soll privat werden und dann werden die Strecken so geführt wie zur Zeit der Kaffee-Barone im Bundesstaat Sao Paulo: kreuz und quer durch die Landschaft zu den Herrensitzen der Fazendas und an den Agglomerationen der Massen vorbei. Es geht ja nicht um Verkehrsbedürfnisse, sondern um profitträchtige Abschöpfung von Kaufkraft. In dieser privaten Anarchowelt werden nicht nur die Freie Universität Berlin oder die Technische Universität München wie Unternehmen geführt, der Rendite verpflichtet und nicht der Wahrheit, dem Erkenntnisdrang oder dem Eros der Pädagogik. Irgendwie wird man das Kulturerbe der Menschheit schon auf den Hülsmann kriegen.

Ich befinde mich in diesen späten Sommertagen auf einer Ägäis-Insel, schaue durch eine purpurrote Bougainvillea aufs Mittelmeer und lese Thomas Morus „Utopia“. Warum das Ausmalen einer utopischen Gesellschaft? Weil im England des ausgehenden 15. Jahrhunderts die frühkapitalistischen Zustände Menschen und Gesellschaft zerstörten, so wie Marx dies später in seinen Ausführungen über die ursprüngliche kapitalistische Akkumulation bitter analysiert hatte. Die Insel Utopia war das radikale Gegenstück zum England der enclosures, der Landvertreibung, des Elends und des massenhaften Hängens der Elenden. Utopia hatte keinen Staat im modernen Sinne. Aber es gab auch keinen entfesselten Markt. Leben und Arbeit waren gemeinschaftlich, sehr hierarchisch-ordentlich organisiert. Das war vor der Zeit, die Karl Polanyi als „great transformation“ zu einem aus der Gesellschaft „entbetteten Markt“ beschrieb. Die entbetteten Märkte wirken, so fügt er hinzu, wie Satansmühlen, die die Arbeitskraft und die Natur sowie die gesellschaftlichen Institutionen zerstören.

Die Liberalen von heute sind borniert genug, um die zerstörerische Kraft der Märkte zu verdrängen. Sie kommt in ihrer neoliberalen Kommunikation nicht oder allenfalls mit dem Schumpeter’schen Attribut „schöpferisch“ vor. Doch Marktliberale haben eine große Klappe, und wenn es ums Eingemachte, d.h. um die eigenen Privilegien geht, sind sie hasenherzig. Die alten Liberalen des 18. Jahrhunderts haben ihre Theorien, z.B. die Metapher von der unsichtbaren Hand des Marktes, gegen die Eingriffe der Obrigkeit ins gesellschaftliche Leben entwickelt. Das war durchaus fortschrittlich und riskant. Heute sind die Neoliberalen nur noch reaktionäre Propagandaesel der herrschenden Eliten.

Es ist frustrierend, die – mit Verlaub – ziemlich ignoranten Ausführungen zu den Finanzkrisen zu kommentieren. Denn man muss sich auf ein Argumentationsniveau hinunter begeben, das schon seit Generationen überwunden ist. Ob Markt- oder Staatsversagen zu den Krisen führt, ist ziemlich unwichtig. Die globalen Krisen haben systemische Ursachen, sind die Ausdrucksformen der Entwicklungsdynamik eines finanzgetriebenen Kapitalismus. Sie kommen unbeteiligte Menschen teuer zu stehen und sie bescheren den Staatshaushalten (aber von Staat reden wir besser nicht) hohe Verluste, die die Bürger zu tragen haben. Um die Dynamik der Finanzkrisen verstehen zu können, muss man mehr als Geld haben: man muss sich einen Begriff von Geld erarbeiten. Man muss zumindest wissen, dass Geld als Zahlungsmittel in der Zeit Vergangenheit (in der Kreditsicherheiten produziert wurden), Gegenwart (in der Investitionsentscheidungen getroffen werden) und Zukunft (in der die Kredite bedient und getilgt werden) verknüpft, daher Unsicherheit und Risiken in die Ökonomie bringt. Allein diese keynesianische Charakterisierung jeder Markt- und Geldwirtschaft qualifiziert Hülsmanns Aussage, der Staat habe die Depressionen der vergangenen Jahrzehnte geschaffen, als einen Abgrund von Unsinn.

Weder Hülsmann noch die Leute von Wörgl, wohl aber Helmut Kohl haben verstanden, dass Geld auch ein Gemeinwesen zusammenhält. Die Tauschringe in Argentinien nach der Finanzkrise 2001 waren ein Kind der Not und ein Ausdruck der gesellschaftlichen Zersetzung. In Wörgl war die Autonomie des Tauschrings immer begrenzt. Denn die lokale Währung war mit einem Wechselkurs an die nationale Währung Österreichs gebunden. Der ehemalige Bundeskanzler Kohl hatte die synthetisierende Kraft des Geldes instinktiv verstanden, als er die damalige DDR erst mit der DM „beglückte“ und danach zur BRD „beitreten“ ließ.

In den „unternehmerischen Universitäten“, die heute à la mode sind und sich in Werbeanzeigen in der FAZ und anderswo anpreisen wie 180 Tonnen Ekelfleisch, mag ja Hülsmanns Sermon auf Resonanz stoßen. In der der Wissenschaft „noch“ verpflichteten Gemeinschaft und erst recht im kritischen Denken gießt man besser die Milch des Mitleids darüber aus.

 

 

Hierauf antwortet Reinhard Pirker

Reinhard Pirker

11.09.2007

Kommentar zu Elmar Altvaters Replik auf Guido Hülsmann

Ich nenne meinen Beitrag nicht zufällig Kommentar zu und nicht Replik = Gegenrede auf Altvaters Beitrag, weil ich im Kern mit Altervaters Ausführungen einverstanden bin. Auch ich habe mich schon über die Überschrift von Hülsmanns Beitrag („Soziales Wirtschaften: besser ohne Staat“) gewundert. Ein Verweis auf den angeblichen theoretischen Begründer der „liberalen“ Marktwirtschaft, Adam Smith, mag dabei hilfreich sein, in dem man an die Hunderte von Seiten im fünften Buch von „Wealth of Nations“ erinnert, wo der „Adam“ der modernen theoretischen Ökonomie die Notwendigkeit staatlicher Aufgaben geradezu beschwört. Aber vielleicht genügt fernab jeder Theorie auch ein Blick auf Mogadiscio, um die desaströsen Verhältnisse bei jedweder Absenz staatlicher Institutionen in den Blick zu bekommen.

Ich halte – hier schließe ich an Altvater an – die Diskussion, ob Markt- oder Staatsversagen Krisen herbeiführen könne, für unendlich fad und zwar deshalb, weil die Vorstellung des Versagens notwendigerweise von einem idealen Bezugspunkt einer möglichen perfekten Welt ausgeht und Abweichungen davon eben als „Versagen“, als „Imperfektion“ ausweist. Dass Ökonomen die perfekte Welt des Marktes zumindest als zentralen theoretischen Bezugspunkt nach wie nicht aufgegeben haben, kann man in jedem (Mikro-)Lehrbuch sehen, wo die Marktformen immer mit dem Modell der vollständigen Konkurrenz (perfekten Welt) beginnen und andere Formen unter Bezug darauf (als Imperfektionen) dargestellt werden. Auch die theoretische Diskussion über die Erlaubtheit von Wirtschaftspolitik muss Marktimperfektionen voraussetzen. Dies scheint mir nicht nur ein theoretisches Spiel zu sein, sondern kommt auch in den vorherrschenden wirtschaftspolitischen Rezepten („Privatisierung“, „Deregulierung“) vor. Auch in Hülsmanns Beitrag kommt diese Art des Denkens ganz klar zum Vorschein.

Zum Wörgler Versuch in der ersten Republik merke ich an, dass Tauschringe nur lokal beschränkt auf Zeit funktionieren können. Im Übrigen hat die Österreichische Nationalbank meines Wissens diesen Versuch abgedreht, weil dieses „Wörgler Geld“ ja die währungspolitische Hoheit der OeNB unterminiert hat.

Ich möchte in einem Punkt eine Frage an Altvater, dessen Schriften ich schon lange schätze, im Zusammenhang mit seinem Verweis auf Karl Polanyi stellen.

Altvater bemüht die Polanyische Vorstellung aus der „Großen Transformation“ von der „Entbettetheit der Märkte“, die gemäß Polanyi wie Satansmühlen den Menschen (die „Arbeitskraft“) und die Natur („Umwelt“) notwendigerweise zerstören müssten (Altvater hat über die Themen immer wieder gearbeitet). Könnte es nicht so sein, dass der bei Polanyi zumindest in meiner Wahrnehmung immer wieder durchscheinende neoaristotelische Hass auf die Händler, der mir persönlich-emotional kein großes Problembereitet,in ein soziales Nirwana führt? Vielleicht sollten wir Märkte nicht (nur) als Zerstörungsmaschinen, sondern auch als Ermöglichungsmittel sehen. Dafür kann dieser „Aristotelismus“ in keiner Weise ausreichend sein.

 

 

Hierauf antwortet Mathias Binswanger

Mathias Binswanger

02.10.2007

Zinsen und das Horten von Geld

Eigentlich hatten die Initianten des Freigeldes in Wörgl ja großes Glück, dass die Österreichische Zentralbank diesem Experiment ein so schnelles Ende bereitete. Auf diese Weise ist Wörgl als erfolgreiches Beispiel für die segensreiche Wirkung des Freigeldes in die Geschichte eingegangen. Hätte es nämlich länger existiert, dann wären auch hier bald einmal die typischen Probleme solcher nur lokal gültigen Währungen aufgetreten, worauf auch Reinhard Pirker in seinem Beitrag zu Recht hinweist. Die am meisten verehrten Revolutionäre sind meist auch diejenigen, die früh ermordet wurden, bevor sich die unangenehmen wirtschaftlichen Konsequenzen mancher Revolution bemerkbar machten.

In diesem Beitrag möchte ich vor allem auf die Frage eingehen, ob die Zinsen im heutigen Geldsystem einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft haben. Die wesentlich auf Silvio Gesell zurückgehende Kritik am Zins lässt sich vereinfacht ausgedrückt so beschreiben: In der Wirtschaft gibt es auf der einen Seite Banken und reiche Geldvermögensbesitzer, die ihr Geld zinstragend bei den Banken anlegen. Auf der andern Seite stehen die potentiellen Geldausleiher, die gerne produzieren oder konsumieren würden aber keine Kredite erhalten. Dies deshalb, weil die Geldbesitzer ihr Geld horten und dafür Zins kassieren statt es den potentiellen Investoren und Konsumenten zu geben. Also muss statt einem positiven Zins ein negativer Zins von den angelegten Geldern abgezogen werden (eine sogenannte Liquiditätsgebühr), damit die Geldbesitzer ihr Geld möglichst schnell wieder ausgeben, statt es zu horten. Freigeldsysteme sind letztlich dazu da, die Wirtschaft anzukurbeln und es erscheint aus diesem Blickwinkel etwas paradox, dass auf der einen Seite immer wieder der Wachstumszwang der heutigen Geldwirtschaft kritisiert wird, aber das Freigeld auf der andern Seite dazu dienen soll, den Geldumlauf und damit die Wirtschaft zu beschleunigen.

Die entscheidende Frage ist nun, was „horten“ genau bedeutet oder anders gefragt: wo bleibt das Geld, wenn es nicht produktiv investiert oder verkonsumiert wird? Bei den Menschen zuhause ist es jedenfalls nicht, denn kaum jemand bewahrt sein Geld heute unter der Matratze auf. Im Wesentlichen kann „gehortetes Geld“ nur die Gelder beschreiben, die zu spekulativen Zwecken kurzfristig in Finanzkapital (vor allem Aktien und Optionen auf Aktien) investiert werden und auf diese Weise dem realen Wirtschaftskreislauf entzogen werden. Der Anteil dieser Gelder hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen und aus diesem Grund kann es für kleinere, nicht so gewinnorientierte Unternehmen tatsächlich schwierig sein, Kredite von einer Bank zu erhalten. Die Investitionsprojekte dieser Unternehmen müssen jetzt nämlich mit den spekulativen Investitionsmöglichkeiten konkurrenzieren, welche auf Finanzmärkten hohe Renditen versprechen. Doch ist daran tatsächlich der Zins schuld?

Mit ihrer Fixierung auf den Zins greift die auf Sivlio Gesell zurückgehende Freiwirtschaftslehre, die im wesentlichen von den meisten Geldkritikern explizit oder implizit übernommen wurde, zu kurz. Der Zins an sich ist nicht das Problem. Im Zentrum muss vielmehr die Frage stehen, wofür die Geldbesitzer ihr Geldeinkommen, d.h. nicht nur Zinsen sondern auch Dividenden und vor allem Kapitalgewinne verwenden. Der Zins ist nur dann ein Problem, wenn die Geldbesitzer ihre Zinseinnahmen nicht in den Wirtschaftskreislauf zurückführen, d.h. ihre Einnahmen im oben beschriebenen Sinne horten. In der ganzen Freiwirtschaftslehre wird aber stillschweigend vorausgesetzt, dass Zinsen immer gehortet werden und es damit auch zu einer Vermögenskonzentration bei den Geldvermögensbesitzern kommt, weil der Rest der Bevölkerung diese Zinsen nie mehr wieder sieht. Das muss aber keineswegs der Fall sein. Wenn die Zinsen in den Wirtschaftskreislauf zurückfliessen, erhöhen sie letztlich auch die Einkommen bei den Investoren. Zinszahlungen führen dann sowohl zu Ausgaben als auch zu Einnahmen.

Ausserdem sind die Zinsen heute längst nicht mehr die wichtigste Einnahmequelle von Geldbesitzern und Banken. Viel wichtiger sind Kapitalgewinne durch den Kauf und Verkauf von Aktien und Optionen an der Börse. Und die Banken verdienen den grössten Teil ihres Geldes heute mit Kommissionen für den Handel von Wertpapieren und die Verwaltung von Vermögen.

Im weiteren muss man sich etwas genauer ansehen, was der Begriff Zins tatsächlich umfasst. Schliesslich gibt es in einer Wirtschaft eine ganze Menge unterschiedlicher Zinsen, die sich aus dem risikofreien Zins (der Zins für kurzfristige Staatsobligationen) und unterschiedlichen Risikoprämien zusammensetzen. Betrachten wir nun ein typisches Investitionsprojekt in einer Firma, dann macht die Risikoprämie den allergrössten Teil des verlangten Zinses aus und der Anteil des risikolosen Zinssatzes liegt meist weit unter 50 Prozent. Diese Risikoprämien sind aber notwendig wenn man weiterhin neue Produkte und Produktionsverfahren entwickeln will, denn sonst wird sich kein privater Investor auf ein solches Risiko einlassen. Schliesslich müssen die Investoren dafür entschädigt werden, dass ein Teil der Projekte scheitert und sie für diese Investitionen nie einen roten Rappen sehen werden.

Zusammenfassend lässt sich somit sagen: Die sich an Gesell orientierenden Kritiker der modernen Geldwirtschaft haben richtig erkannt dass die Dynamik der heutigen Wirtschaft und und einige ihrer Probleme wesentlich mit dem Geld- und Finanzsystem zusammenhängt. Die Kritik schiesst aber über das Ziel hinaus, wenn sie den Zins grundsätzlich als Übel betrachtet.

 

 

Hierauf antwortet Karin Heitzmann

Karin Heitzmann

11.10.2007

Von denen, die kein Geld zum Horten haben und Zinsen nur als Kosten kennen

Professor Mathias Binswanger erinnert daran, dass „es in einer Wirtschaft eine ganze Menge unterschiedlicher Zinsen [gibt]“. Nicht nur das. Zinsen haben für Wirtschaftssubjekte unterschiedliche Bedeutung. Die einen kennen Zinsen vor allem als Erträge, die anderen kennen Zinsen vor allem als Kosten. Wird Geld gehortet, gebühren Habenzinsen. Wird Geld allerdings geliehen, sind Sollzinsen als Preis für das geborgte Geld zu bezahlen. In meinem Beitrag zum Kettendiskurs geht es mir um eine Gruppe, die Zinsen nur als Kosten kennt, nämlich verschuldete und überschuldete Personen bzw. Haushalte.

Das Ausmaß der privaten Haushaltsverschuldung ist in Österreich enorm. Nach Informationen der Österreichischen Nationalbank hatten private Haushalte im Jahr 2006 Kreditverpflichtungen in Höhe von knapp 138 Milliarden Euro. Der Übergang von einer Verschuldung zu einer Überschuldung ist oft fließend: unter einer Überschuldung versteht man die faktische Unmöglichkeit von Haushalten, Schulden aus dem laufenden Einkommen in einer angemessenen Frist zu begleichen. Dass Überschuldung für viele Menschen in Österreich ein drastisches Problem ist, zeigen folgende Kennzahlen eindrucksvoll auf, die im SCHULDENREPORT 2007 veröffentlicht wurden: allein im Jahr 2006 wurden mehr als 943.000 Fahrnisexekutionen (das ist die gerichtliche Pfändung und Verwertung von beweglichen Sachen) und mehr als 762.000 Forderungsexekutionen (über den Weg der Lohnpfändung) beantragt.

Die bevorrechteten Schuldenberatungsstellen Österreichs, deren KlientInnen vor allem aus überschuldeten Haushalten kommen, sind im Jahr 2006 knapp 50.000 Personen mit Schuldenproblemen mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Die Zahl der hilfesuchenden Personen hat im Übrigen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen – was auf eine Zunahme der Überschuldungsproblematik hinweist. Professionelle SchuldenberaterInnen stellen immer wieder fest, dass Menschen, die in Zahlungsverzug geraten, in den meisten Fällen nicht zahlungsunwillig, sondern tatsächlich zahlungsunfähig sind – umso verwunderlicher ist die Praxis vieler Banken, aber auch anderer kommerzieller Unternehmungen, Kredite (beispielsweise Konsumkredite) relativ leichtfertig zu vergeben.

Die Median-Verschuldung der KlientInnen der Schuldenberatungsstellen belief sich im Jahr 2006 auf über 38.000 Euro. Gleichzeitig verdiente mehr als die HälfteälftHäkfte der KlientInnen monatlich weniger als 1.000 Euro (siehe SCHULDENREPORT 2007). Eine Schuldensanierung gestaltet sich unter diesen finanziellen Umständen dementsprechend schwierig bzw. ist sie aus eigenen Mitteln kaum bewältigbar. Nicht nur, weil das Geld für die Tilgung des geschuldeten Betrags schlicht fehlt, sondern auch, weil der geschuldete Betrag auf Grund der Zinsbelastung kontinuierlich weiter ansteigt. So werden beispielsweise bei Zahlungsverzug zusätzlich zum vereinbarten Sollzinssatz Verzugszinsen fällig. Dies kann dazu führen, dass sich der Schuldenbetrag innerhalb von wenigen Jahren allein auf Grund der kumulierten Zinsbelastungen vervielfacht.

Einen möglichen Ausweg aus der Überschuldungsproblematik bietet seit 1995 die Einleitung eines Schuldenregulierungsverfahrens, umgangssprachlich auch als ‚Privatkonkurs’ bekannt. Im besten Fall führt der Privatkonkurs zu einer vollständigen Entschuldung nach sieben Jahren. Bis zur Entschuldung lebt der Schuldner oder die Schuldnerin allerdings mit seiner oder ihrer Familie am bzw. vom (nicht mehr pfändbaren) Existenzminimum. 2006 wurden in Österreich 7.509 Anträge für ein Schuldenregulierungsverfahren eingeleitet – eine Anzahl, die im Vergleich zum Ausmaß der im selben Jahr beantragten Fahrnis- und Forderungsexekutionen verhältnismäßig bescheiden wirkt.

Mathias Binswanger fragt in seinem Beitrag, „ob die Zinsen im heutigen Geldsystem einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft haben“. Ich frage, ob die Zinsen im heutigen Geldsystem einen negativen Einfluss auf die Wohlfahrt der Menschen haben? Denn frei nach Nobelpreisträger Amartya Sen ist es nicht Zweck des Menschen der Ökonomie zu dienen. Vielmehr ist es Zweck der Ökonomie, den Menschen zu dienen. Wie im Hinblick auf die Überschuldungsproblematik gezeigt worden ist, verschärfen (Soll)Zinsen die finanziell ausweglose Situation von vielen Haushalten. Ihre Wohlfahrt wird negativ beeinträchtigt, ihr Armutsrisiko deutlich erhöht bzw. prolongiert. Dass Zinserträge, die für das Horten von Geld bezahlt werden, einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft haben, ist umstritten. Dass Zinsen als Kostenfaktor die Existenz vieler überschuldeter Menschen und Haushalte bedrohen, ist demgegenüber unbestritten. Wird die Idee des „sozialen Wirtschaftens“, die Basis dieses Kettendiskurses ist, ernst genommen, müssen daher nicht nur die Zinseffekte bei Geldhortung, sondern auch die Zinseffekte bei Überschuldung in der Analyse mit berücksichtigt werden.

 

 

Hierauf antwortet Wilfried Stadler

Wilfried Stadler

31.10.2007

Zur Besteuerung von Kapitaltransfers

Dr. Wilfried Stadler antwortet auf Dr. Karin Heitzmann

Die aktuellen Probleme im Gefolge der amerikanischen Subprime-Krise zeigen die Dringlichkeit neuer Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte auf. Der Bogen reicht von strengeren Veranlagungsregeln bei synthetischen Wertpapieren über eine deutlich erhöhte Transparenz von Hedge-Fonds bis zur Schaffung unabhängiger, auf non-profit-Basis arbeitender Rating-Agenturen. All diese Themen waren bis vor kurzem noch tabuisiert – unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse werden sie von den Notenbanken und Finanzmarktaufsichten nun sehr offensiv diskutiert.

Aber nicht von diesen unmittelbar anstehenden systemischen Großreparaturen soll hier die Rede sein. Ich will den bisher stark auf das Zinsenthema fokussierten Wörgler Diskurs um einen konkreten finanzmarktpolitischen Ansatz ergänzen, der zwar kein Allheilmittel zum Auskurieren von Systemkrisen ist, bei ernsthafter Verfolgung aber doch einen vernünftigen sozial-marktwirtschaftlichen Reformbeitrag liefern kann: Die Bagatell-Besteuerung von Devisentransaktionen oder – weitergehend – von Kapitaltransfers („Tobin-Tax light“).

Die Besteuerung des Kapitalverkehrs hat eine lange Tradition. Deshalb gab es in Vor-Euro-Zeiten in zahlreichen Ländern Kapitalverkehrssteuern in unterschiedlicher Ausprägung. Mit der zunehmenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs wurden sie zweckmässigerweise auf nationaler Ebene schrittweise aufgegeben. Es erscheint mir sinnvoll, sie auf supranationaler Ebene wieder neu einzurichten, um damit supranationale (europäische, globale) öffentliche Güter zu finanzieren. Ob die Mittelverwendung ins EU-Budget geht oder, wie oft diskutiert, in die Finanzierung der Milleniumsziele zur Armutsbekämpfung, wäre letztlich eine politische Entscheidung.

Konkret geht es um einen Satz von 0,01 Prozent (in der Finanzsprache: ein Basispunkt) von jeder Devisentransaktion. Angewendet auf die gesamte Euro-Zone ergäbe sich daraus ein Jahresaufkommen von grob geschätzt 15 Mrd. Euro, was 2006 etwa 13 Prozent des EU-Budgets entsprochen hätte. Für eine Ausweitung der Besteuerungsgrundlage auf alle Kapitaltransfers liegen noch keine konkreten Berechnungen vor, der erzielte Wert müsste jedenfalls deutlich darüber liegen.

Da die EU nur mehr wenige Quellen der Eigenfinanzierung hat – frühere innereuropäische Zollabgaben sind ja weitgehend entfallen – würde eine solche „Europasteuer auf Kapitaltransfers“ die Eigenständigkeit des europäischen Haushaltes stützen und mehr Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedsstaaten bringen. Letztlich würden damit auch Steuern auf Arbeit und Konsum substituiert, aus denen andernfalls auf nationaler Ebene die EU-Beiträge aufgebracht werden müssen.

Dieser pragmatische Vorschlag liegt im wesentlichen den parlamentarischen Entschliessungen Frankreichs und Belgiens zur Einführung einer solchen Steuer zugrunde. Das österreichische Parlament hat sich in einer von allen Parteien getragenen Entschließung ebenfalls dazu entschieden, der Bundesregierung dieses Konzept zur Durchsetzung in der Europäischen Union zu empfehlen – natürlich unter dem Vorbehalt, dass sich auch alle anderen europäischen Länder einem solchen Schritt anschließen müssten.

Ich war gemeinsam mit einem belgischen Finanzwissenschafter einer jener zwei von insgesamt vier Experten beim Hearing im zuständigen Finanzausschuss des Parlaments, die als Befürworter einer solchen Form der Devisentransaktionsbesteuerung auftraten. Wenig überraschend machte ich dabei die Erfahrung, dass es sich um ein ideologisch ungemein aufgeladenes Thema handelt.

Auch die mediale Diskussion des Themas zeigt: die Gegner einer solchen Steuer beschwören den Untergang der Finanzmärkte – der jedoch, wie wir spätestens seit der im heurigen Sommer ausgebrochenen Subprime-Krise wissen, aus ganz anderen Gefahrenquellen drohen kann. Und die Befürworter überfrachten das Steuerziel oft mit überzogenen Hoffnungen auf Eindämmung spekulativer Finanzmarktbewegungen.

Und weil feststeht, dass die Einführung nur im übernationalen Konsens funktionieren würde, wird der Entwurf einer solchen Finanzmarktsteuer gerne als utopisch bezeichnet. So utopisch wie der Entwurf einer europäischen Einheitswährung zum Zeitpunkt der EU-Gründung vor 50 Jahren?

Eine seriöse Diskussion über die Besteuerung von Kapitaltransfers scheint mir schon deshalb wichtig, weil wir wieder lernen müssen, ordnungspolitische Diskussionen mit längeren Horizonten zu führen. Auch wenn manche „Marktfundamentalisten“ (George Soros) der Politik ihre Kernaufgabe absprechen wollen, die Rahmenbedingungen einer verantworteten Marktwirtschaft zu bestimmen: auf das Politikversagen des Marktes wollen wir uns doch nicht ganz verlassen!

 

 

Hierauf antwortet Martin Zagler

Martin Zagler

04.12.2007

Straßenbeleuchtung oder das Ende des Nachtwächterstaates

Dies ist ein Kunstprojekt, und das soll uns von der üblichen rigiden analytischen Argumentationskette der Wissenschaft befreien. Daher, ganz postmodern, ein paar Ideen, die am Ende doch fast alle zusammenlaufen werden.

Wörgl hatte, mit Hilfe des Schwundgeldexperiments, eine Vielzahl öffentlicher Infrastrukturmaßnahmen, etwa den Bau einer Brücke, die Kanalisation, oder die Modernisierung der elektrischen Straßenbeleuchtung. Straßenbeleuchtungen sind wichtig, weil sie das Ende der Nachtwächter und Laternenanzünder bedingt haben, und weil es sich um ein öffentliches Gut handelt, auch das Ende des Nachtwächterstaats.

Die erste elektrische Straßenbeleuchtung Österreichs, nein Europas, wurde, zumindest temporär, in meiner Heimatstadt Steyr errichtet, wo ein reicher Mäzen – Josef Werndl – diese gestiftet hat.

Und das bringt uns auch schon zu einem der 3 bekanntesten Ökonomenwitzen. Fragt der vorbeigehende Polizist den unter der Straßenlaterne knienden Ökonomen, was er denn suche? Worauf dieser erwidert: „Meine Brille“. Nach einer Weile der Hilfe bei der Suche meint der Polizist, ob der Ökonom sie denn hier verloren hat. Worauf dieser erwidert: „Nein, dort drüben im Dunkeln, aber dort macht es keinen Sinn zu suchen, weil ich nichts sehen kann“.

Womit wir bei der großen Depression der Zwischenkriegszeit angelangt sind. Ökonom/inn/en wissen ziemlich genau, warum es damals zur Krise kam, und Ursache war insbesondere ein Liquiditätsproblem. Bargeldhaltung hat in Volkswirtschaften Kosten, über den Wertverlust durch Inflation. In Zeiten von Deflation hingegen gewinnt Bargeld ständig an Wert, weshalb das Hinausschieben von Konsum attraktiv wird, insbesondere wenn Bargeld das einzige Wertaufbewahrungsmittel ist, und das war es nun einmal für die Bewohner von Wörgl in der Zwischenkriegszeit und anderswo. Nebenbei bemerkt, auch deshalb ist ein bisschen Inflation auch heute noch so wichtig.

Sollen wir deshalb die Ursache jeder Wirtschaftskrise dort suchen, wo wir Licht haben? Da befinde ich mich ganz auf einer Linie mit Stefan Schulmeister. Heutige Krisen haben andere Ursachen, und die müssen auch anders bekämpft werden. Eignet sich Schwundgeld daher für andere Zwecke, etwa zur Förderung einer Wirtschaftsregion? Da hat Brigitte Unger eine geniale Analogie gezogen. Falls Nachbarregion tatsächlich Nachfrage verlieren, werden Sie wohl ebenfalls Regiogeld einführen, und anstelle eines gemeinsamen Marktes gibt es dann viele kleine dezentrale. Damit steigt die Marktmacht der Produzenten, und damit die Kosten für Konsument/inn/en.

Wem also dient Schwundgeld? Nun, erstmal dem Emittenten, denn dieser erhält mit bedrucktem Papier bei der Ausgabe viel Kaufkraft. Es muß Wörgl zu Gute gehalten werden, dass der Gegenwert in Schilling bei einer örtlichen Bank hinterlegt wurde. Die Zinsen dafür, immerhin 6%, erhielt freilich die Gemeinde. Und zweitens hilft Schwundgeld dem Emittenten, denn dieser erhält aufgrund der Stempelmarken auf den Geldscheinen nochmals Einkommen. Diese Dreistigkeit erlaubt sich nicht einmal die Europäische Zentralbank. Klar, dass sich damit leicht eine elektrische Straßenbeleuchtung finanzieren lässt. In Wörgl konnte die Liquiditätskrise damit behoben werden, was zu einem Aufschwung verholfen hat, und das war gut so. Besser aber, eine Notenbank streut Liquidität in den Markt, wenn nötig. Eine Lektion, die die amerikanische Fed mit Sicherheit, aber selbst die EZB bedingt gelernt hat.

Die große Depression war aber nicht nur eine Liquiditätskrise. Am Vorabend der großen Depression waren Unternehmensprofite so hoch wie nie zuvor. Übrigens sind auch heute wieder Unternehmensprofite viel zu hoch, bedingt durch eine entsolidarisierte Arbeiter/inn/schaft, und unterstützt von einer (internationalen) Steuerpolitik, Zinspolitik, und den Finanzmärkten, die von vielen kleinen Sparern zu wenigen reichen umverteilen. Genau dieser Punkt wurde gerade eben von Karin Heitzmann angesprochen. Denn Zinsen sind natürlich auch ein wichtiger Umverteilungsfaktor in einer Volkswirtschaft, weg vom Arbeitseinkommen und hin zu Kapitaleinkommen.

Das hat während der großen Depression und auch heute noch zu Nachfrageausfällen geführt. Denn warten, bis Unternehmer/inn/en, wie Josef Werndl damals, ihr Geld ausgeben (und Nachfrage schaffen) erinnert frappant an ein Zitat von Winston Churchill über Amerikaner, welches ich hier paraphrasiere: „You can trust [the capitalists] to do the right thing, after they have exhausted all other possibilities“.

Und obwohl das bereits ein schöner Schlusssatz gewesen wäre, muss ich doch noch meine Aufgabe erfüllen, und auf Wilfried Stadler vor mir antworten, obwohl wir uns von Wörgl immer weiter enfernen. Denn während dort Transaktionen die einzige Möglichkeit waren, Geldhaltungskosten zu entkommen, will Stadler ebendiese, wenn auch nur für Devisentransaktionen, besteuern. Trotzdem muss mensch ihm beipflichten, wenn er argumentiert, dass Finanzmärkte destabilisieren, und deshalb reguliert gehören. Denn Finanzinvestoren verlangen heute Renditen von 8% und mehr, was natürlich langfristig nicht realistisch ist. Kurzfristig funktioniert das, indem mal eine Branche (DotCom?) mal eine Region (Südostasien?) gehypt wird, bis sich dann herausstellt, dass es doch nicht so läuft, und mit Platzen der Blase hypothetisch Vermögen vernichtet und real die Nachfrage geschwächt wird. Solange immer wieder, wie bei einem Pyramidenspiel, ein paar Spekulanten rechtzeitig ihren Kopf aus der Schlinge ziehen, solange werden ihnen kleine Anleger folgen, Tobinsteuer hin oder her. Was viel eher besteuert gehört sind exzessive Renditen (z.B. alles über 6%, alles über der Inflationsrate, oder mein Liebling, alles über der nominellen Wachstumsrate), und das wäre selbst national mit einer Vermögenszuwachssteuer möglich, die das Horten von Vermögen, sowie damals in Wörgl Bargeld gehortet wurde, besteuern würde.

 

 

Hierauf antwortet Walter Oswalt

Walter Oswalt

02.01.2008

Den Kapitalismus durch eine egalitäre Marktwirtschaft überwinden! Ideen für eine Abschaffung der Konzerne

Die bisherige „Weitsichtig Wirtschaften “- Debatte ist charakteristisch: Sofern es überhaupt um das Wirtschaftsystem als Ganzes geht, pendeln die Positionen hin und her zwischen pro Marktwirtschaft und contra Marktwirtschaft. Neoliberale wie Sozialisten sind sich dabei näher, als sie annehmen. Sie unterstellen gemeinsam, der Markt sei eine Natur­erscheinung. Dabei wollen die einen die Wildnis des Marktes unter Naturschutz stellen,(Guido Hülsmann) während die anderen fordern, sie trockenzulegen (Jörg Huffschmid).

Ich vertrete eine andere Sichtweise: Die kapitalistische Marktwirtschaft selbst ist ein hochartifizielles Kulturprodukt. So würden beispielsweise die angeblich deregulierten Finanzmärkte von einer Sekunde zur anderen wie ein Kartenhaus einstürzen, wenn ihnen die staatlich geschaffenen Existenzvorrausetzungen – vom Kapitalgesellschaftsrecht bis zur Börsenaufsicht – entzogen würden. Ich schlage deshalb vor, über die Marktregulation hinauszugehen und die Architektur der Märkte in den Mittelpunkt zu stellen.

Die andere Blickrichtung, die ich vorschlage, lässt sich am Beitrag von Martin Zagler erläutern: Er fordert, exzessive Kapitalrenditen besonders zu besteuern. Richtig, ich würde sogar noch weitergehen und eine Erbschaftsteuer und Vermögenssteuer mit einem Grenzsteuersatz von 100 Prozent vorschlagen. Aber solche Korrekturen der Folgen des Kapitalismus sind genauso unzulänglich wie nachgeschaltete Filter bei Kohle- oder Atomkraftwerken. Notwendig ist es, die Existenz und Entstehungsvoraussetzungen der großen Kapital- und Vermögenskonzentrationen zu beseitigen.

Wie soll das möglich sein? Mit Hilfe des freien Marktes! Ist das nicht paradox, denn der Markt ist doch gerade das Problem? Ja, natürlich haben wir eine Marktwirtschaft, aber es handelt sich um ein halbautoritäres Marktsystem. Der ordoliberale Ökonom Walter Eucken hat nachgewiesen: Eine tatsächlich freie Marktwirtschaft („die Wettbewerbs­ordnung“) unterscheidet sich von der oligopolistischen Marktwirtschaft nicht weniger als von der Planwirtschaft. Gleiche und freie Tauschverhältnisse in der Wirtschaft zu erreichen, das muss genauso erkämpft werden wie das gleiche, freie Wahlrecht in der Politik.

Beides sind sich ergänzende Abstimmungs- und Entscheidungsverfahren, die in ihrem Geltungsbereich (Wirtschaft / Politik) auf der gleich großen Entscheidungsfreiheit aller Beteiligten gründen. Was wir heute in der Wirtschaft haben, ist eine Art Mehrklassen­wahlrecht: Konzerne sind gegenüber einfachen Marktteilnehmern mehrfach privilegiert, indem sie – z. B. mit Haftungsbeschränkung und Unternehmensverflechtungen – das Abstimmungsergebnis auf den Märkten manipulieren und zugleich Einfluss auf die Politik nehmen können, um die Spielregeln auf dem Markt zu ihrem Vorteil zu ändern.

Das Mehrklassenwahlrecht auf den Märkten durch eine egalitäre Marktwirtschaft zu ersetzten, erfordert z. B., das Aktiengesellschafts- und Konzernrecht sowie das das Patent- und Markenrecht abzuschaffen; denn sie ermöglichen die Existenz weniger Kapitalkonzentrationen aufgrund der Diskriminierung aller anderen Marktteilnehmer. An ihre Stelle müssten neue Rechtsinstitutionen einer machtminimierten Marktwirtschaft treten.

Einige Beispiele: Als Ersatz für die Unternehmensrechtsform der Aktiengesellschaft käme die der Mikrokapitalgesellschaft in Frage (Kapital könnte so nicht mehr als Beherrschungsinstrument, dafür aber umso besser als Finanzierungsinstrument von Millionen kleinerer Unternehmen eingesetzt werden. Die Patentmonopole könnten durch ein öffentliches Lizenzsystem für „Intellectual Property“ ersetzt werden. Rechtssicherheit für Machtminimierung könnte ein von allen Betroffenen einklagbares Grundrecht auf Marktfreiheit bewirken (z. B. könnten so Biobauern aus Bayern wie äthiopische Bauern wirksam gegen Marktdumping durch EU-Subventionen vorgehen).

Das Steuerungsprinzip einer solchen „Peer to Peer“-Ökonomie ist bei den meisten linken Globalisierungskritikern wie bei den Konzernchefs besonderst verhasst, nämlich der Leistungswettbewerb. Das Folgende zeigt: Er ist ein wertvolles Zivilisierungsinstrument, weil er alle Formen der Konkurrenz verhindert, die nicht auf einem Wettbewerb um die freie Leistungsbewertung der Konsumenten beruhen. Heute wird bereits durch das allgemeine Straf- und Zivilrecht in den entwickelten Demokratien weitgehend verhindert, dass ein Wettbewerb um unmittelbare physische Überlegenheit stattfinden kann. Die „Wettbewerbsordnung“ einer tatsächlich „freien Marktwirtschaft“ entwickelt den Zivilisationsprozess weiter. Sie könnte diejenigen destruktiven Formen des Wettbewerbs verhindern, auf denen der Oligopolismus beruht: Heute ist für den Unternehmenserfolg entscheidend, so effektiv wie möglich die Spielregeln des Marktes manipulieren zu können – durch größtmögliche Einflussnahme auf den Gesetzgebungsprozess und durch Erwerb von Marktmacht. Maßgeblich für den Erfolg im ungleichen Wettbewerb ist auch der legale Diebstahl des ökologischen Eigentums der Menschheit. Müssten – im Sinne einer egalitären Marktwirtschaft – alle Unternehmen für ihren Beitrag zur Klima­veränderung haften, dann gingen von Shell über General Motors bis Airbus mehr als die Hälfte der Weltkonzerne, in den Konkurs – weil ihre Leistungsbilanz seit vielen Jahrzehnten in Wirklichkeit negativ ist.

Doch über einen solchen revolutionären Systemwechsel zu einer dezentralisierten Marktökonomie wird bisher nur wenig nachgedacht. Ein Grund dafür ist, dass der Leistungswettbewerb als „genialstes Entmachtungsinstrument“ (Franz Böhm) von Kapitalismuskritikern ignoriert und bekämpft wird, weil er angeblich „Profit über alles“ stellt. Doch das ist genau falsch: Je effektiver der Wettbewerb funktioniert, umso geringer ist der Profit. Im „vollständigen Wettbewerb“ tendiert der Profil gegen Null. Deshalb fürchten die Konzerne nichts mehr als tatsächlichen Wettbewerb. Das wusste um 1848 auch schon die Avantgarde der Arbeiterbewegung (Zeitschrift „Die Verbrüderung“ in Deutschland, und „L’Atelier“ in Frankreich), als sie für eine marktwirtschaftliche Ökonomie selbstverwalteter Unternehmen kämpfte. Eine Internationale der Mikrokapitalisten könnte diese liberale wie sozialistische Tradition des Antimonopolismus wiederentdecken und das Ende des Oligopolkapitalismus einleiten.

Walter Oswalt, 28.12 2007

 

 

Hierauf antwortet Gerhard Senft

Gerhard Senft

03.03.2008

Den Kapitalismus mit den Mitteln des Ordoliberalismus überwinden?

Gedanken zum Beitrag Walter Oswalts

Walter Oswalts Gegenüberstellung von „kapitalistischer Marktwirtschaft“ und „egalitärer Marktwirtschaft“ beinhaltet wesentliche Grundgedanken, die eine weiterführende Diskussion zu bereichern imstande sind. Eine von monopolistischen und oligopolistischen Strukturen befreite Marktwirtschaft, wie sie von ordoliberaler Seite vorgeschlagen wird, trägt das Potential in sich, eine neue Qualität in die ökonomischen Abläufe einzubringen. Ob jedoch mit der Betonung der marktwirtschaftlichen Komponente allein ein echter Machtausgleich innerhalb der Gesellschaft bewirkt werden kann, ist jedoch zu bezweifeln. Zu vermissen ist in Walter Oswalts Darstellung eine gesonderte Auseinandersetzung mit dem Arbeitsmarkt. Oder ist Herr Oswalt der Meinung, dass der Arbeitsmarkt genauso zu behandeln sei, wie jeder beliebige andere Markt? Eines der Hauptkennzeichen von Märkten ist das Moment der Freiwilligkeit. Doch wer begibt sich freiwillig auf die Angebotseite des Arbeitsmarktes? Nur der pure Zwang zur Sicherung ihrer Existenz bringt Menschen dazu, ihre Haut auf einem „Markt“ feilzubieten.

Bei allen Vorteilen, die Elemente einer Marktwirtschaft zu bieten haben, sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, dass im Rahmen des Marktgeschehens in sozialer oder ökologischer Hinsicht nur zu häufig blind agiert wird. Es gibt keinen Grund, das Spiel von Angebot und Nachfrage zu glorifizieren. Die Herausforderung für eine zivilisierte Gesellschaft besteht vielmehr darin, zu entscheiden, welche Märkte sie will und welche nicht. Zu Recht gibt es keine Kolonialbörse mehr (1878 von den europäischen Mächten eingerichtet zum Austausch von Einflussgebieten im nichteuropäischen Raum), ebenso findet der Handel mit kinderpornographischem Material heute keinerlei Akzeptanz.

Erinnern wir uns im gegebenen Zusammenhang an Alexander Rüstow – übrigens auch ein Hauptvertreter der Lehre des Ordoliberalismus –, der vor einer zu hohen Marktgläubigkeit gewarnt hat. In seiner Schrift „Die Religion der Marktwirtschaft“ (Münster 2001) weist Rüstow auf den Erlösungscharakter hin, mit dem der Wirtschaftsliberalismus im 18. Jahrhundert die Bühne des Weltgeschehens betrat. Jeder Ansatz zur Verabsolutierung des Laissez-Faire-Prinzips wird von Rüstow mit Begriffen wie „subtheologisch“ oder „theologisch-metaphysisch“ verbunden. Die ableitbare Erkenntnis, dass der „Kapitalismus“ im modernen Menschen viel tiefer verwurzelt ist, als es auf den ersten Blick scheint, berechtigt zu der Frage, ob es mit einfachen organisatorischen oder technischen Mitteln überhaupt möglich ist, groß angelegte Veränderungen im Wirtschaftsgeschehen herbeizuführen.

Geraume Zeit vor Rüstow hatte Walter Benjamin in seinem Fragment „Kapitalismus als Religion“ (1921) die ökonomische Ordnung der Moderne als ein religiöses Sinnstiftungssystem zu beschreiben versucht. (Benjamin, W.: Gesammelte Schriften, Band VI, Frankfurt/M 1991, S. 100-102) Im Gegensatz zu Max Weber ist Benjamin überzeugt, dass das Christentum der Reformationszeit nicht das Aufkommen des Kapitalismus begünstigte, sondern dass es sich in Kapitalismus umwandelte. Die religiöse Natur des Kapitalismus zeige sich anhand von vier Charakterzügen: Zum einen handle es sich um eine „reine Kultreligion“, die das Alltagsleben des Menschen dahingehend bestimme, dass es unhinterfragt den vom Kapital vorgegebenen Verwertungsbedingungen folge. Damit hänge ein weiterer Zug des Kapitalismus zusammen, die permanente Dauer des Kultes. Walter Benjamin: „Der Kapitalismus ist die Zelebrierung eines Kultes sans réve et sans merci (ohne Waffenruhe, ohne Gnade). Es gibt da keinen Wochentag, keinen Tag der nicht der nicht Festtag in dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung sakralen Pompes, der äußersten Anspannung des Verehrenden wäre.“ Zum dritten münde diese Religion nicht in die Erlösung, sondern in eine immer weiter fortschreitende Verschuldung. Der Kapitalismus werde somit zu einem Spiel zunehmender Verstrickung mit höchst ungewissem Ausgang. Zum vierten sei der Kapitalismus eine Religion, deren Gott verheimlicht werden muss. Den Menschen erscheine der Kapitalismus über weite Strecken als ein rationales System, erst in Phasen des Exzesses oder der Krise treten seine irrationalen Momente erkennbar zutage.

Unterzieht man die heute weltweit vorherrschenden, alles durchdringenden Wirtschaftsprinzipien einer eingehenden Betrachtung, zeigt sich Benjamins Denkansatz eindrucksvoll bestätigt. Der in der modernen Gesellschaft abstrakt als Säkularisierung umschriebene Prozess tritt konkret als Etablierung des Kapitalismus als Religion hervor, wobei mit seiner zunehmenden Ausbreitung und Festigung den traditionellen Glaubensbekenntnissen nicht nur auf dem Gebiete der Orientierung der Rang abgelaufen sondern auch deren latent vorhandene Gewaltbereitschaft aufgesogen wird. Im Zeitalter der „Globalisierung“ hat das profitorientierte Wirtschaften den Status des Sakralen angenommen – mit all den Ingredienzien des Religiösen. Zu benennen sind in diesem Zusammenhang etwa die von irrationalen Überzeugungen getragenen Glaubensbekundungen (gegenüber einem scheinbar allmächtigen Marktsystem) ebenso wie die Heiligenverehrung (wir denken an dieser Stelle an verschiedene Börsengurus und andere Lichtgestalten der Marktwirtschaft), offen oder verdeckt geführte Kreuzzüge (gegen Kapitalismuskritiker) und rituelle Praktiken (vollzogen bei den regelmäßigen Treffen des Weltwirtschaftsforums). Garantiert sind nicht zuletzt auch der Devotionalienkitsch und das Rauscherlebnis im Rahmen der vom Kapitalismus hervorgebrachten schönen bunten Konsumwelt. Die Kathedralen des Kapitalismus sind errichtet aus Stahl, Beton und Glas, sie beherbergen Shopping-Malls und Konzernniederlassungen, und sie überragen die Gebetshäuser der traditionellen Religionsgemeinschaften in ihrer Größenordnung um einiges.

Kurzes Resümee: Eine Kapitalismuskritik, die die Auseinandersetzung mit den religiösen und ideologischen Befangenheiten des modernen Menschen einschließt, könnte zum Kern einer neuen Aufklärung werden. Nichts braucht die Gesellschaft heute dringlicher, nachdem die alte Aufklärung lendenlahm und systemkonform geworden ist.

 

 

Hierauf antwortet Peter Winzeler

Peter Winzeler

15.04.2008

Ist das Christentum im Kapitalismus auf- und untergegangen?

Neue Aufklärung tut not. Den Kapitalismus mit „Mitteln des Ordoliberalismus überwinden“, hiesse ja dem ausgewachsenen Eisbären des Neoliberalismus mit den Tatzen des niedlichen Knut die Faxen austreiben wollen. Der alte Ordo-Liberalismus war eine höchst zeitbedingte Kampfansage an den aufkeimenden demokratischen Sozialismus mit dem aggressiven Fernziel, jede Mauer mittels des „Marktpreises“ zu zertrümmern, sofern nur die eigene nationale Sicherheit gewährleistet bleibe (s. Fr. A. von Hayek, Der Weg zur Knechtschaft 1946; Neuaufl. 1991; Benjamin Ward, Die Idealwelten der Ökonomen 1986). Auch deshalb konnte weder der Dritte Weg von Prag (1968), noch eine gesamtdeutsche Verfassungsrevision (1990) der NZZ mehr als ein müdes Lächeln entlocken. Gottlob hat sich das Christentum noch nicht „in den Kapitalismus umgewandelt“. Nur ist es, wie Jakob dem Esau, stets sein (jüngerer) Zwillingsbruder gewesen. Dem römischen Kapitalismus der unproduktiven Sklavenhaltung und der in Rom versteigerten weltweiten Steuerpachten – die erste Form des freien Marktes ! – setzte die Urchristenheit die allgemeine Menschenwürde und einen Kommunismus des gemeinsamen Gütergebrauchs entgegen (der Chrästianer Apostelgeschichte 11,26) unter moralischer Ächtung, aber nicht Aufhebung des Privateigentums. Nach dem römischen Staatsbankrott triumphierte das Christentum in genossenschaftlichen Produktionsformen, die den Wucherzins ächteten, aber produktive Darlehen mit „Fruchtzinsen“ bzw. Nutzniessungsrenten (usufructum) belohnten, die den Regeln des jüdischen Gnadenjahres, des geteilten Risikos und beidseitigen Nutzens (lat. inter-esse) entsprachen (Thomas von Aquin und Luthers Schriften wider den Wucher). Der versilberte Fruchtzins war ein arbeits- und ertrags-abhängiger Ernteanteil und nicht Ausdruck „unproduktiver“ Naturalwirtschaft. Erst Dr. Eck, Theologe des Bankhauses Fugger (von Luther „Dreck“ genannt) legimierte einen Kapital-abhängigen Zinsfuss, sofern der Geldgeber seinen moralischen Fruchtzehnten gegen einen risikofrei zugesicherten „minderen“ Zins (5 % des Pfandgutes) eintauschen dürfe. Für den kleinen Mann hiess das, „seine Arbeit einem andern verkaufen“ (Zwingli). Für Calvin war der Zins von maximal 5 % nur ein Richtwert, der den Refugianten ein Grundeinkommen und notwendige Investitions- und Sozialfonds sichern sollte. Max Weber hat ganz recht gesehen, dass ohne diese „protestantische Askese“ der kleinen und mittleren Unternehmen der moderne Kapitalismus nie auf einen grünen Zweig gekommen wäre, ja dass es der „autoritären“  Doktrin Calvins (wie Bismarcks und Lenins !) bedurfte, um die zähen „antikapitalistischen“ Bindungen der Frommen zu überwinden. Der Glaube an die unsichtbare Hand war bei Adam Smith von moralischen Überresten der Vorsehung genährt und erfüllte alle Merkmale einer neuprotestantischen Häresie (Karl Barth), deren Enthüllung durch W.Benjamin ich nicht widerspreche, ausser, dass der in der Thora manifestierte Bundesgott nun durch das schlechthin Nichtige ersetzt ist: eines ohne verantwortliches Subjekt prozessierenden Kapitals, das den mörderischen Zugriff auf Erde und Menschen idolatrisch in „naturgegebenen“ Faktorpreisen von Boden (Rente), Kapital (Zins) und Arbeit (Lohn) verhüllt (s. Karl Marx). So gesehen ist Karl Marx der letzte Scholastiker, Reformator und Profet, der das verschleierte Wertgesetz von Grundschulden, Arbeit und Mehrwerten noch durchschaute. Im Neoliberalismus werden auch die Gebote der intellektuellen Redlichkeit über den Haufen geworfen (als habe Marx eine „Arbeitskosten“-Lehre vertreten) und der Zins aus einem Tauschwarengeld hergeleitet (Milton Friedman), das jeder analytischen Vernunft bezüglich Zahlungsmitteln und der Geldschöpfung durch Grundpfänder, Gülten (Obligationen) und Bürgschaften spottet. Das Resultat haben wir heute sichtbar vor Augen. Mir bleibt fraglich, ob lokale Heilkuren des verfallenden Tauschwarengeldes (Gesell) oder globale der bastardkeynesianischen Negativzinspolitik (Greenspan) tragfähiger seien als die antizyklischen Preisbildungsregeln der Halljahresperiode, in der alle Grundschulden nach 50 Jahren verfallen (Leviticus 25), die noch im kommunalen Bodenrecht Helvetiens überwintern (befristete Bodenpachten des öffentlichen Baurechtes). Resüme: Noch jede „spontane“ Markttätigkeit, die der Neoliberalismus als paradiesische Naherwartung herauf beschwört, ist von gigantischen Bodenverpfändungen und Staatsverschuldungen abhängig, die heute unter dem Diktat der national-globalen Sicherheit den Arbeits- und Warenmarkt alimentieren und zugunsten weltweiter Monopole regulieren. Nur die Kreditblindheit der Gläubigen kann diese Hauptursache der Globalisierung ausblenden oder als „Fremdkörper“ der reinen Lehre geisseln, dem das heutige Marktversagen anzulasten wäre, statt aus der Idealwelt auf den Erdboden der arbeitenden Menschen zurück zu kehren und den realen Machtfragen des unbefristeten Eigentums auf den Grund zu gehen. Ohne die verhasste ‘jüdische‘ Beschneidung des ‘natürlichen‘ Eigentumsprivileges bleiben Zinsbeschränkungen kosmetisch und ohne nachhaltige Wirkung.

 

 

Hierauf antwortet Franz Segbers

Franz Segbers

24.06.2008

Vertrauen auf die unendliche Akkumulation von Geld

1. Mammons Sieg in der Moderne

Der seit der Antike ausgetragene traditionelle Gegensatz von Gott und Geld scheint mit der beginnenden Neuzeit entschieden zu sein, wie Voltaire mit Blick auf die Börse beobachtet:

„Kommen Sie in die Börse von London, einen Ort, der angesehener ist als die meisten Königshöfe. Sie finden da Abgeordnete aller Nationen zum Nutzen der Menschheit versammelt. Dort verhandeln Jude, Moslem und Christ miteinander, als hätten sie die gleiche Religion, und sie nennen nur den einen Ungläubigen, der bankerott macht. Dort verlässt sich ein Presbyterianer auf einen Wiedertäufer, und der Anglikaner nimmt den Schuldschein des Quäkers entgegen“

Als hätten sie die gleiche Religion, so vereint die Gläubigen über alle ideologischen und konfessionellen Schranken hinweg eines: das Geld.

In seinem Fragment Kapitalismus als Religion nennt Walter Benjamin den Kapitalismus nicht nur ein religiös bedingtes Gebilde, sondern eine „essentiell religiöse Erscheinung“ eine Kultreligion „sans rêve et sans merci“ : ohne Traum und ohne Gnade. Wenn Religion die jeweils alles bestimmende Wirklichkeit repräsentiert, dann hat Benjamins These weitreichende Folgen: Gott und die alles bestimmende Wirklichkeit müssen fortan unterschieden werden.

Meine These lautet deshalb: Zu unterscheiden ist wie im biblischen Reflektieren über Gott zwischen Gott und Götzen. Die biblisch-theologische Unterscheidung zwischen Gott und Götzen/Mammon ist nicht nur mythenkritisch, sie verfolgt auch eine aufklärerische Absicht. Das herrschende System bringt nämlich nicht nur materielle Güter, sondern auch Götzen und Götzendienst hervor und erweitert dadurch seine Macht. Denn zusätzlich zur politischen oder ökonomischen Macht entsteht eine Ideologie, die zur Religion wird, um die Gesellschaft geistig zu dominieren.

2. Gott oder Mammon

Wie Gott ist auch das Geld auf Glauben angewiesen. Gedeckt ist Geld allein durch den Glauben an das Geld. Angesichts der Führungsrolle, die der geldgesteuerten Wirtschaft insgesamt für das gesellschaftliche System in der Moderne zugebilligt wird, greifen die vom Geld regulierten ökonomischen Verwertungsprozesse auf nichtökonomische Bereiche wie Politik, Religion, Kultur oder Bildung über mit der Folge, dass das Geld zu einer alles bestimmenden Wirklichkeit mutiert. Nicht wie ehedem die göttliche Vorsehung sondern das Geld bestimmt über gelingendes oder gescheitertes Leben oder die Verteilung von Lebenschancen. Der Code ökonomischer Rationalität, genauer: der Code der Geldverhältnisse, breitet sich auf alle Lebensbereiche aus.

Wenn mit Religion eine alles bestimmende Wirklichkeit“ bezeichnet wird, dann übt Geld wie ein irdischer Gott die Funktion jener alles bestimmenden und allumfassenden Wirklichkeit aus. Der Geldpantheismus durchtränkt die gesamte Lebenswelt, das Lebensumfeld und die Lebensziele. Geld wird gottgleich zu einer alles bestimmenden Wirklichkeit; ist omnipotent, omnipräsent und universal, besitzt also Attribute, die in der Religion Gott zugeschrieben werden. Ethische Ermahnungen sind angesichts der Dominanz einer vom Geld gesteuerten Ökonomie hilflos – allenfalls eine liebenswert harmlos.

Bedarf es aber eines solchen Umwegs über eine Differenzierung zwischen Gott und Götze-Mammon, um die Freiheit des Menschen gegenüber der Dominanz des Geldsystems zu begründen? Im Gegensatz zur auffälligen Zurückhaltung der bürgerlichen Theologie, Geld zum Thema theologischer Reflexion zu machen, geht Luther in seiner Auslegung des ersten Gebotes von der Antithese Gott oder Mammon aus. Die Macht des Geldes war für ihn nicht ein ethisches sondern ein Thema, das in den theologischen Kernbereich, nämlich die Gottesfrage gehörte:

„Ein Gott heißt das, von dem man alles Gute erwarten und bei dem man Zuflucht in allen Nöten haben soll, so daß ‘einen Gott haben’ nichts anderes ist, als ihm von Herzen trauen und glauben; wie ich oft gesagt habe, daß allein das Vertrauen und Glauben des Herzens beide macht: Gott und Abgott. (…) Woran Du nun (sage ich) Dein Herz hängst und Dich darauf verläßt, das ist eigentlich dein Gott. (…) Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat; er verlässt und brüstet sich darauf so steif und sicher, dass er niemand etwas gibt. Siehe: dieser hat auch einen Gott, der heißt Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er all sein Herz setzt, was auch der allergewöhnlichste Abgott auf Erden ist.“

Nach Luther genügt es also nicht, überhaupt einen Gott zu haben. Entscheidend ist vielmehr die Frage: Welcher Gott wird verehrt? Er kann nämlich sehr wohl ein anderer sein als jener, der im religiösen Glaubensbekenntnis bekannt wird. Deshalb gilt: Auf wen der Mensch tatsächlich vertraut, den hat er auch durch seinen Akt des Vertrauens zu seinem Gott gemacht. Mammon und Gott sind zwar in diesem Akt des Vertrauens selber austauschbar, doch als funktionales Äquivalent nur insofern, als Mammon sich eine Funktion aneignet und der Mensch auf diesen Mammon sein Vertrauen in eben einer Weise setzt, die der „rechte Glaube“ Gott allein vorbehält und eben nicht dem Mammon zukommen lässt. Die Scheidelinie Gott/Götze verläuft keineswegs zwischen christlichem Glauben und anderen religiösen Überzeugungen, sondern quer zu diesen. Luther argumentiert nun keineswegs zeit- und kontextlos theologisch, sondern gerade angesichts des Frühkapitalismus. Hellsichtig analysiert Luther den frühkapitalistischen Kontext und deutet ihn theologisch als eine neue Möglichkeit, einen Gott haben zu können, nämlich einen Geld-Gott. Nach Luther ist diese theologische und nicht nur ethische Reflexion der Geldverhältnisse lange nicht mehr rezipiert worden. Doch jetzt in Zeiten der Zivilreligion des Kapitalismus, wo das Geld zur alles bestimmenden Wirklichkeit avanciert ist, kann Luthers Unterscheidung zwischen Gott und Geld-Gott Mammon aufgegriffen werden.

3. Kapitalismuskritik als Religionskritik

Wenn die Bibel von Götzendienst spricht, dann wird die Herrschaft der Objekte über die Subjekte als Götzendienst definiert. Eine solche Religionskritik differenziert zwischen einer fetischisierten (götzenhaften) und humanisierten Transzendenz. Zwischen dem biblischen Kampf gegen die Götzen und der marxistischen Kritik des Geld- und Warenfetischismus bestehen auffallende Affinitäten, die Marx durch oft verwendete, wenngleich auch in der Marxrezeption kaum beachtete, biblische Bilder und Begriffe in seiner Kapitalismuskritik nahe legt. Baal, das Goldene Kalb, Mammon sind einige dieser theologischen Metaphern, die Marx im Kapital und in anderen ökonomischen Schriften immer wieder benutzt, um das Wesen des Kapitalismus als Götzendienst von Geld, Ware, Profit, Markt oder Kapital zu bezeichnen. Die Börse wird „Tempel von Baal“ oder von „Mammon“ genannt. Noch wichtiger sind die vielen Stellen, wo er das Kapital als einen Götzen beschreibt, der Opfer verlangt.

Der zentrale Begriff der Marxschen Kapitalismuskritik ist eine theologische Metapher: Fetischismus. Geld besitzt die Fähigkeit, sich jeden Wert einverleiben und in einen Geldwert umwandeln zu können. Bereits beim jungen Marx heißt es: „Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein anderer Gott bestehen darf. Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in eine Ware“ (Marx MEW 1, 374).

Die klassi­sche politische Ökonomie im 17./18. Jahrhundert begann, die Habsucht in der Gestalt des Eigennutzes als Antrieb des Menschen zu wirtschaftlichem Handeln positiv zu werten, betonte die vorteilhaften Auswirkungen des individuellen Gewinnstrebens für die Gesamtheit und deutete Gewinnstreben zu einem wünschenswerten sozialen Verhalten um. Die philosophischen und religiösen Traditionen seit dem Aufkommen der Geldwirtschaft in der Antike wissen noch um die Gefährdung durch eine grenzenlosen Kapitalvermehrung. Zahlreich sind deshalb die Klagen in der Antike über die negativen Folgen des Geldsystems. „Für den Reichtum liegt bei den Menschen keine sagbare Grenze vor,“ sagt bereits Solon (ca. 640 – ca. 560 v. Chr.), und Aristoteles, der Solon zitiert, fügt hinzu: „Alle Geschäftemacher nämlich wollen ins Unbegrenzte hinein ihr Geld vermehren.“ Die Bibel unterscheidet sich in keiner Weise von dieser vorherrschenden Einschätzung des Geldes in der Antike: „Wer das Geld liebt, bekommt vom Geld nie genug“ (Pred. 5,9). Die neutestamentlichen Schriften fassen ökonomische Entfremdung als eine religiöse Entfremdung, als Fetischdienst auf, wenn es heißt: „Niemand kann zwei Herren dienen … Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24). Mit Gott und Mammon werden konkurrierende Gottesverständnisse thematisiert, wobei wohl erstmals in der Geschichte Geld eben als ein „falscher“ Gott bezeichnet wird, der real und gleichsam mit Händen zu fassen, die Gesellschaft dominiert.

Die biblische Mammonkritik analysiert den Geldmechanismus, insofern er sich dominierend auswirkt und den Prozess der unendlichen Geldvermehrung befördert. Sie bewertet diesen Sachverhalt ethisch und theologisch. „Götze“ ist also eine system-analythische Kategorie in einer wertenden und ethisch-theologischen Sprache und will aussagen: Das Geldsystem des Mammon herrscht dann, wenn die permanente Geldvermehrung als oberstes Ziel akzeptiert und entsprechend gehandelt wird.

4. Götzenkritik des Marktes

Der liberale Ökonomen Alexander Rüstow war es, der auf eine, wenn auch verdeckte, so doch nicht weniger wirkmächtige Religion, nämlich eine „Wirtschaftstheologie“ hingewiesen hat, die einen „Gott der Waren“ (Marx MEW 42,148) verehrt. Der vermeintlich säkularen Moderne ihre Säkularität nicht zu glauben, wird deshalb zu einer ideologiekritischen und theologischen Aufgabe.

Als ein markantes Beispiel kann ein Beitrag von Rolf Breuer, dem früheren Chef der Deutschen Bank, gelten, in welchem er darlegt, dass es allein richtig und wohlstandsfördernd sei, die Demokratie den Interessen der Kapitalverwertung unterzuordnen: „Gemäß der Logik der Marktwirtschaft führen die individuellen Aktionen einzelner Kapitalanbieter und – nachfrager dabei im Ergebnis zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. … Offene Finanzmärkte erinnern Politiker allerdings vielleicht etwas häufiger und bisweilen etwas deutlicher an diese Zielsetzung (i.e. Wohlstand und Wachstum, F.S.), als die Wähler dies vermögen. Wenn man so will, haben Finanzmärkte quasi als ‚fünfte Gewalt‘ neben den Medien eine wichtige Wächterrolle übernommen … vielmehr müssen sich die Regierungen nach den Wünschen der Anleger richten. … Die autonomen Entscheidungen, die Hunderttausende von Anlegern auf den Finanzmärkten treffen, werden im Gegensatz zu den Wahlentscheidungen nicht alle vier oder fünf Jahre, sondern täglich gefällt, was Regierungen ständig unter einen erheblichen Erklärungszwang setzt.“ Ein Glaube spricht sich hier aus: Die „Logik der Marktwirtschaft“ garantiert Wohlstand, der so sicher kommt wie das Amen in der Kirche. Deshalb kann man die gesellschaftliche Entwicklung getrost diesem wohlwollenden Mechanismus anvertrauen, der letztlich demokratische Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger zu ihrem eigenen Nutzen überflüssig macht, denn viel besser sei es, dem Markt diese Aufgabe zu übertragen. Im Geldsystem findet also so etwas wie eine moralische Selbstorganisation der Gesellschaft statt. Demokratisch gewählte Regierungen tun deshalb gut daran, sich der Kontrolle durch die Finanzmärkte zu unterwerfen, denn außerhalb des Markts gibt es kein Heil. Breuers Nachfolger Josef Ackermann ist von diesem Glauben abgefallen. Er ruft in der Finanzkrise nach dem Staat, der es richten soll. Doch damit ist die Gelddominanz keineswegs gebrochen.

Die Frage nach Gott und Götzen meint in der Sache: Auf wen oder was wird ein unbedingtes Vertrauen gesetzt? Wer oder was ist Objekt der Hingabe? Die wohlwollende Güte des Marktes, der vertrauende Unterwerfung einfordert, hat den wohlwollenden Gott ersetzt. Jede Dollar-Note bekennt mit der Aufschrift „In God we trust“ . Im Akt des demütigen Vertrauens als einem genuin religiösen Akt zeigt sich eine Strukturanalogie zwischen dem Vertrauen auf Gott in der Religion und dem Vertrauen auf das Geld.

Durch moralische Appelle oder gut gemeinte Maximen eines rechten Umgangs mit Geld wird die alles bestimmende Wirklichkeit des Geldes nicht einzuschränken sein. Der Kampf gegen die mit Mammon angesprochene Dominanz der Geldlogik gegenüber der Lebenswelt bewegt sich auf zwei Ebenen: auf einer theoretischen Ebene, auf der Götzendienst im Geldsystem wahrgenommen, durchschaut und delegitimiert wird, und auf einer praktischen Ebene des Kampfs gegen die destruktiven Mächte eines Geldsystems.

 

 

Hierauf antwortet Wilhelm Guggenberger

Wilhelm Guggenberger

08.07.2008

Unendliches Begehren, unendliches Geld

Mit den Ausführungen von Franz Segbers im letzten Beitrag stimme ich inhaltlich uneingeschränkt überein. Das ergibt sich schon allein daraus, dass ich mich der Thematik Ökonomie und Geld aus einer ähnlichen theologischen Perspektive nähere. Ich werde an dieser Stelle folgerichtig auch keinen Kontrapunkt setzen, sondern lediglich eine Ergänzung anfügen, die den Brückenschlag zwischen Segbers’ theologischer Mammon-Kritik und einer stärker sozialwissenschaftlichen Positionierung erleichtern könnte, wie ich hoffe.

Sofern gesellschaftliche Strukturen mit Hilfe der Unterscheidung zwischen Gott und Götze analysiert werden, scheint mir die weiterführende Frage sinnvoll, welche Funktion Götzen für Mensch und Gemeinschaft erfüllen. Anders formuliert: Warum stellen Menschen – gerade moderne und aufgeklärte Menschen – Götzen an die Stelle Gottes? Agnostiker würden wohl eher fragen, warum Menschen ihre alten Götter durch neue ersetzen, sobald sie sich von jenen durch Aufklärung befreit haben?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es wesentlich, die Kapitalfunktion des Geldes ernst zu nehmen. Das „geldheckende Geld“, wie Marx es nannte, weist nämlich tatsächlich grundlegend andere Wesensmerkmale auf, als das simple Tauschmedium. Besonders die Kapitalvermehrungsprozesse an den Börsen verleihen dem intrinsisch ja wertlosen Zeichen- oder gar Buchgeld tatsächlich eine magische Qualität. Wie Hans Christoph Binswanger so schön aufgewiesen hat, ersetzten die modernen Kapitalmärkte die alte Alchemie, indem es ihnen gelingt, Wert aus nichts zu schaffen. Spekulationsgewinne erwachsen aus nichts anderem als aus veränderten Erwartungshaltungen und sind somit auch tatsächlich unproduktiv. Gerade das und die damit gegebene relative Unabhängigkeit von den Faktoren Arbeit, natürliche Ressourcen und Produktionsmittel verleihen der Finanzwirtschaft den Anschein unendlicher Wachstums- und Expansionsfähigkeit.

Diese Unendlichkeit ist meines Erachtens nun der wesentliche Faktor für die Götzentauglichkeit des Geldes. Warum? Nun, weil sie korrespondierend auf eine andere Unendlichkeit im Menschen trifft. Das Humane zeichnet sich durch einen nicht endgültig abschließbaren elan vital aus, durch ein Streben und Wollen, das über das Gegebene hinaus tendiert. Man könnte auch sagen: Menschen transzendieren sich immer wieder selbst. Darin liegt die Quelle von Entwicklung und Fortschritt von Kultur und Geistesgeschichte, aber andererseits auch die Wurzel von Konkurrenz und Konflikt. Letztlich ist die entscheidende Menschheitsfrage also wohl jene nach einer Kultivierung der humanen Begehrensdynamik.

Die Menschheitsgeschichte ist gespickt von entsprechenden Versuchen. Den gegenwärtig wohl dominierenden stellt die Ökonomie dar. Dabei erweist sie sich als geradezu geniales Konstrukt. Zum einen ist das wirtschaftlich so zentrale Geld-Vermögen ein Realsymbol von (ökonomischer) Potenz, indem es – selbst intrinsisch wertlos – auf alles mögliche, zumindest auf alles käufliche verweist. Hier haben menschliches Begehren und die Konkurrenz um Status und Position ihr ideales Objekt gefunden. Zugleich erscheint der Markt, als wohlgehegte Spielwiese menschlichen Begehrens und domestizierter Konkurrenz auf der Wettbewerb nicht zum blutigen Konflikt führen muss, weil Expansion immer neues Vermögen freigibt. Die „kreierbare“ Geldmenge stößt an keine natürlichen Grenzen, angesichts derer Konflikte auf Leben und Tod unvermeidlich wären. Friedliche, wenn nicht gar heilbringende Unendlichkeit; sollte das kein Gott sein!?

Eine ungebremste Wachstumsdynamik, die sich auf den globalen Kapitalmärkten austobt, ist fürs Erste auch tatsächlich weniger destruktiv, als eine, die das in der Realwirtschaft tut. Hier gibt es ein Wachstum, hier gibt es Gewinne, die nicht unmittelbar Rohstoffe verschleißen und die Senken des Produktionsprozesses füllen. Das Problem bleibt aber freilich, dass einerseits Krisen und Einbrüche der Finanzwirtschaft – wie jüngst – auf den realwirtschaftlichen Bereich zurückwirken und dort zuallererst jene treffen, für die Geld noch immer nur ein Tauschmedium ist, mit dessen Hilfe sie Arbeit gegen Güter des täglichen Lebens tauschen. Ihnen war der „God-Term“ der Finanzwelt immer nur ein mysteriöser Sehnsuchtsbegriff im fernen Olymp der Börsenplätze. Andererseits ist die florierende Kapitalwirtschaft auf Vertrauen in das System der Gesamtwirtschaft angewiesen und hat so die Güter produzierende Realwirtschaft nach wie vor im Schlepptau einer vielleicht gar nicht mehr nur langfristig destruktiven Wachstumsnotwendigkeit.

Eine Fokussierung weitsichtiger Wirtschaftsinitiativen auf die Zinsproblematik dürfte damit wohl zu kurz greifen (wenngleich die Thematik durchaus bedeutsam ist). Was im Grunde schon längst in Angriff zu nehmen gewesen wäre, ist eine Wirtschaftsweise, die sich von der Ideologie permanenten Wachstums löst. Diese Ideologie entspringt auch, aber eben nicht nur den Zwängen der Geld-, Zins- und Kapitallogik. Sie muss auf einer gesamtkulturellen Ebene bearbeitet werden.

Die technischen Probleme einer in diesem Sinn neu zu findenden Ökonomie stellen wohl schon eine gewaltige Herausforderung dar, wollen wir sie nicht durch einen Kollaps des bisherigen Systems hindurch erreichen, was wohl nur um den Preis unvorstellbaren Leids möglich wäre. Noch größer ist aber die Herausforderung, mit unserem Begehren in einer Weise umzugehen, die nicht entweder unsere Mitmenschen verdrängt oder aber unsere Welt vernichtet. Peter Ulrich hat im Anschluss an Andre Gorz und Erich Fromm darauf hingewiesen, dass wir in der Ökonomie die Kategorie „genug“ neu gewinnen müssten. Nur so können wir über eine Pareto-Logik hinaus gelangen, die auf den ersten Blick gerecht erscheinen mag, die einem einigermaßen allgemein akzeptablen Sozialvertrag aber die Ökosphäre opfert. „Genug“ sagen zu können erfordert aber einen fundamentalen Gesinnungswandel, besonders bei den bisherigen Gewinnern und Profiteuren des Systems – für sie, für uns wird es ohne Verzicht und Teilen nicht gehen. „Genug“ sagen zu können in ökonomischer Hinsicht erfordert meines Erachtens auch eine Form spiritueller Reifung, die unser unendliches Begehren über die Welt des Materiellen hinaus zu führen vermag.

Aber ist es nicht illusionär so etwas zu fordern? Mag sein, es ist ein wenig naiv. Alle Realisten bitte ich jedoch ernsthaft die Alternativen zu erwägen.

 

 

Hierauf antwortet Ulrike Knobloch

Ulrike Knobloch

11.08.2008

Ökonomie im 21. Jahrhundert: Theorie der Erwerbs- und Versorgungswirtschaft

Holzschnittartig lassen sich drei Phasen des Verständnisses von Ökonomie unterscheiden: Bei Aristoteles war Ökonomie die Kunst der Hausverwaltung und damit auf die Hauswirtschaft und die vielfältigen Tätigkeiten innerhalb des Hauses bezogen, während die Gelderwerbskunst nicht zur Ökonomie gehörte. Mit Adam Smith verkehrte sich das Ökonomieverständnis dann in das genaue Gegenteil: Die Haus- und Versorgungswirtschaft wird ausgeblendet, die Markt- und Geldwirtschaft wird zum Ökonomischen schlechthin. In der dritten Phase, in der wir uns heute befinden, stehen wir vor der Aufgabe, beide Ökonomiebegriffe zusammenzuführen und Ökonomie als Theorie der Erwerbs- und Versorgungswirtschaft zu begreifen.

Diesen Gedanken möchte ich im Folgenden weiter ausführen, indem ich methodisch an den vorangegangenen Beitrag von Wilhelm Guggenberger anknüpfe, mich inhaltlich aber stärker auf den Beitrag von Adalbert Evers beziehe, den er vor ziemlich genau einem Jahr zu dieser Kettendiskussion über soziales und weitsichtiges Wirtschaften beigesteuert hat. Guggenberger möchte mit seinen Ausführungen über Geld- und Realwirtschaft eine Brücke schlagen von einer theologischen zu einer stärker sozialwissenschaftlichen Perspektive. Ein solcher Brückenschlag kommt meinem eigenen methodischen Vorgehen entgegen, denn ich argumentiere auf wirtschaftsphilosophischer Grundlage und beziehe auch die in dieser Diskussion weitgehend fehlende Geschlechterperspektive konsequent mit ein. Evers plädierte in seinem Beitrag für eine thematische Öffnung der Debatte und zeigte, dass auch in Privathaushalten, Staat und Wohlfahrtsverbänden gewirtschaftet wird, dass es also neben der Marktwirtschaft weitere Formen des Wirtschaftens gibt, die für ein soziales und weitsichtiges Wirtschaften von grundlegender Bedeutung sind. Diesen Gedanken einer erweiterten Ökonomie möchte ich aufnehmen und weiterdenken. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht um eine Ökonomisierung des Sozialen geht, sondern gerade im Gegenteil um eine „Resozialisierung von Ökonomie“ (Adalbert Evers).

Durch die Erweiterung des Ökonomieverständnisses werden nicht nur die Leistungen der bezahlten Erwerbswirtschaft inklusive der Sozialwirtschaft, sondern auch die unbezahlte Versorgungswirtschaft inklusive der Hauswirtschaft zum Gegenstand ökonomischer Analyse. Denn zum „Wohlstand der Nationen“ (Adam Smith) tragen ja gerade auch die Leistungen ganz wesentlich bei, die in jedem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem unbezahlt meist im Haushalt oder haushaltsnah erbracht werden. Diese unbezahlten Leistungen sind für jedes Wirtschafts- und Gesellschaftssystems unverzichtbar und für jeden einzelnen Menschen lebenswichtig. Bezahlte Erwerbswirtschaft und unbezahlte Versorgungswirtschaft sind demnach zwei Seiten einer Medaille, die erst zusammen das Ganze der Ökonomie ausmachen. Durch ein solches umfassendes Ökonomieverständnis können auch Verlagerungen von Leistungen zwischen dem bezahlten und dem unbezahlten Bereich sichtbar werden, was insbesondere bei Verlagerungen von sozialen Dienstleistungen aus der Erwerbswirtschaft in die privaten Haushalte oder umgekehrt erhellend ist.

Welche Größenordnung die unbezahlte Arbeit heute hat, lässt sich im Rahmen von Zeitbudgeterhebungen und Haushaltsproduktionskonten zeigen, die mittlerweile für viele Länder vorliegen. Diese Studien zeigen, dass das Volumen der unbezahlten Arbeit in den Ländern weit größer ist als das Volumen der bezahlten Arbeit und dass der Wert der unbezahlten Arbeit – abhängig vom angesetzten Lohnsatz – zwischen 40 und 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt.

Der Bedarf an bezahlten und unbezahlten sozialen Leistungen wird in Zukunft weiter zunehmen, insbesondere Betreuungs- und Pflegeleistungen. Ein Grund dafür ist die stark gestiegene und weiterhin steigende Lebenserwartung der Menschen, wobei Alter nicht Pflegebedürftigkeit bedeuten muss. Aber dass der Pflegeaufwand durch altersbedingte Krankheiten extrem zunimmt, bezweifelt kaum jemand. Völlig offen und unklar ist, wer die zusätzlichen Betreuungs- und Pflegeleistungen in Zukunft erbringen wird, wenn Frauen, die bisher den weit größeren Anteil der Versorgungsarbeit übernommen haben, gleichberechtigte Partnerinnen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt sind, ohne dass Männer sich in entsprechendem Umfang an den versorgungswirtschaftlichen Tätigkeiten beteiligen, und wenn Arbeitskräfte aus Osteuropa oder Übersee, die jetzt einen Großteil dieser Arbeit gegen geringe Bezahlung leisten, nicht zur Verfügung stehen.

Für welche sozialen Leistungen zukünftig wie viel bezahlt wird und welche Leistungen unbezahlt erbracht werden (sollen), wer sie erbringt und wer sie erbringen sollte, sind Fragen, die sich uns im 21. Jahrhundert verstärkt stellen werden. Als Grundlage für ihre Beantwortung benötigen wir eine Ökonomie, die die bezahlte Erwerbswirtschaft ebenso wie die unbezahlte Versorgungswirtschaft in ihre Analyse einbezieht.

 

 

Hierauf antwortet Wulf Gaertner

Wulf Gaertner

26.08.2008

Ein Verkauf von individuellen Rechten?

Ich möchte mit diesem Beitrag an Ulrike Knobloch anknüpfen, indem ich ein Beispiel für mögliche (und teils schon realisierte) Entwicklungen bringe, die uns ebenfalls durch das 21. Jahrhundert begleiten werden. Darüberhinaus werde ich versuchen an den im Beitrag von Wilhelm Guggenberger verwendeten Begriff der „Götzentauglichkeit des Geldes“ sowie an die Forderung, „über eine Pareto-Logik“ hinauszugelangen, indem man der Kategorie „genug“ eine neue Bedeutung verleiht, anzuknüpfen. Beides tue ich wohl wissend, dass mein eigener Beitrag die Diskussion in eine andere Richtung bringen wird. Ich möchte nämlich fragen, ob Bürgern einer Zivilgesellschaft die Möglichkeit gegeben werden sollte, individuelle Rechte in einer bilateralen Beziehung oder aber über einen Markt gegen Geld zu veräußern. Handelt es sich hier bloß um ein weiteres Beispiel einer „Ökonomisierung des Sozialen“ (einen Begriff, den Ulrike Knobloch in ihrem Beitrag verwendet) oder ist es vielmehr ein Brückenschlag zwischen Erwerbs- und Versorgungswirtschaft?

Fragen wir also konkret, ob Zivilpersonen die Möglichkeit haben sollten, freiwillig ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit aufzugeben, indem sie eine ihrer intakten Nieren oder einen Teil ihrer gesunden Leber an eine andere (nicht mit dem Geber verwandte) Person, die ein solches Organ dringend benötigt, zu einem angemessenen Preis verkaufen. Oder stellen wir die Frage, ob der Bürger eines Staates, der aus Desinteresse an der Politik oder aus einer generellen Desillusionierung gegenüber der politischen Sphäre „sowieso“ nicht zur Wahl geht, sein Stimmrecht an einen Mitbürger verkaufen darf, an jemanden, der politisch engagiert ist und möglicherweise bestimmte politische Ziele zu erreichen versucht. Fragen wir schließlich, ob es jemandem, der arbeitslos ist und dringend eine Beschäftigung sucht, erlaubt sein sollte, gegenüber einem potentiellen Arbeitgeber auf gewisse Grundrechte, z.B. das Streikrecht oder das Recht auf Bildung einer politischen Vereinigung zu verzichten, wenn ihm dadurch ein Arbeitsplatz zugesichert wird.

Haben wir es nicht in allen Fällen mit einer Pareto-Verbesserung zu tun? Und können wir nicht für alle geschilderten Situationen feststellen, dass die sogenannte Götzentauglichkeit des Geldes, wenn überhaupt, eher eine untergeordnete Rolle spielt?

Nehmen wir z.B. den Fall des Verkaufs einer Niere. Involviert in dieses Geschäft sind zunächst einmal nur zwei Personen, der Geber und der Empfänger des Organs. Es gibt genug medizinische Evidenz dafür, dass gesunde Menschen mit einer Niere genauso gut auskommen wie mit zwei Nieren. Unter der Annahme, dass das „matching“ Problem im vorliegenden Fall mit hinreichender Sicherheit gelöst ist, gibt es eigentlich nur Gewinner, nämlich zwei. Wenn mit dem Verkaufserlös der Niere auch noch die Ausbildung eines heranwachsenden Menschen, nämlich eines Kindes des Organgebers finanziert werden kann, was vorher nicht möglich gewesen wäre, gibt es noch einen weiteren Gewinner bei dieser Tauschaktion.

Was spricht nun gegen einen solchen Tausch von Organgewebe gegen Geld, wenn alle medizinischen und psychologischen Fragen vor dem medizinischen Eingriff hinreichend abgeklärt worden sind? Zahlreiche Menschen werden meiner Arguments- und Darstellungsweise widersprechen wollen, obwohl sie völlig unbeteiligt sind. Was spricht gegen die Pareto-Logik im vorliegenden Fall? Sicher der Einwand, dass manch einer ein ungutes Gefühl hat, in einem Staat zu leben, der Tauschsituationen wie die eben beschriebene zulässt. Wenn beim Übergang von A nach B einige Teilnehmer besser gestellt, andere aber schlechter gestellt werden, macht das Pareto-Prinzip keine Aussage. Aber sollen diese beim Verkauf eines Organs hervorgerufenen Externalitäten (negativer Art), die bei Unbeteiligten auftreten, tatsächlich zählen? Ein passiv Mitrauchender erleidet nach allen (seriösen) medizinischen Untersuchungen eine gesundheitliche Schädigung, ein von einem Nierenverkauf hörender Bürger fühlt sich möglicherweise unwohl, da er einen Markt für solche Transaktionen innerlich ablehnt. Aber wie weit wollen wir gehen bei der Anerkennung negativer Externalitäten? Wir mögen uns durch die sichtbar werdende Ausübung einer anderen Religion als der eigenen gestört fühlen, aber sollte dies „zählen“? Wir mögen den Lebenswandel unseres Nachbarn ablehnen, aber haben wir ein Recht, in die von ihm gewählte Lebensweise einzugreifen?

Der Verzicht auf elementare Grundrechte bei Annahme einer Beschäftigung ist insoweit etwas anders zu beurteilen, als folgende negative Externalität entstehen kann, die andere Arbeitsuchende unmittelbar tangiert. Falls die Zahl derer, die bereitwillig auf grundlegende Rechte verzichten, groß genug ist, werden andere Arbeitsuchende, die zu solchen Konzessionen nicht bereit sind, nur unter Schwierigkeiten einen Arbeitsplatz finden. Darüber hinaus mag der Lohnsatz für diese Gruppe von Arbeitsuchenden signifikant niedriger sein, zumindest besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Lohnsatz für diese Personengruppe im Zeitablauf sinken wird. Damit läge hier keine Pareto-Verbesserung vor.

Ich kenne keine Zivilgesellschaft, in der Stimmrechte legal gegen Geld transferiert werden können, aber ein solcher Vorschlag ist hin und wieder gemacht worden. Der rechtmäßige Verkauf von Organen ist bzw. war in einigen Staaten dieser Erde möglich, die speziellen Wirtschaftszonen in China liefern ein Beispiel für die Aufgabe von „zunächst einmal“ zugesicherten individuellen Rechten.

Wir haben in einer längerfristigen Befragung unter Grundstudiumsstudenten der BWL und VWL an der Universität Osnabrück festgestellt, dass die Bereitschaft, für die Einführung und Wahrung von Grundrechten einzutreten, über einen Zeitraum von 15 Jahren deutlich abgenommen hat, wenn auf der anderen Seite quasi als Kompensation für die Aufgabe bzw. Einschränkung bestimmter Rechte mit ökonomischen Vorteilen wie z.B. einem langfristigen Aufbauprogramm, das zu einem generellen Wirtschaftswachstum führen kann, „geworben“ wird. Dies heißt offenbar, dass die Einhaltung fundamentaler Rechte für junge Menschen im Zeitablauf an Bedeutung verloren hat, wenn dies mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden ist. Andererseits haben sich unsere Studenten massiv gegen einen Verkauf des Wahlrechts ausgesprochen.

 

 

Hierauf antwortet Ralf Becker

Ralf Becker

10.12.2008

Weitsichtiges Wirtschaften nach der internationalen Finanzkrise

Ich möchte mich aufgrund der Entwicklungen der letzten Monate auf mehrere vorherige Beiträge dieser Diskussion zu unserem Finanz- und Geldsystem beziehen:

Die Finanzkrise hat uns in den letzten Monaten an den Rand eines Abgrunds geführt. Inzwischen ist offensichtlich, was Gerhard Senft, Franz Segbers und Wilhelm Guggenberger als Religion des Geldes skizziert haben: Der Götze Geld hat sein wahres Gesicht gezeigt. Die Geldwerte, die von Finanzjongleuren rund um die Welt in den letzten Jahrzehnten vermeintlich geschaffen wurden, sind zum großen Teil nichts als leere Luftblasen.

Das weltweite Platzen immer weiterer Vermögensblasen offenbart, wie wenig weitsichtig unsere Wirtschaft ausgerichtet ist. Wie in vielen Beiträgen dieser Diskussion schon angedeutet merken die Menschen, dass die Sicherheit unseres Wirtschaftssystems im Grunde auf wackeligen Beinen steht. Kein Wunder – sind doch allein in Deutschland die privaten Geldvermögen von 1950 bis zum Jahr 2000 real um das 31-fache gewachsen, die Realwirtschaft jedoch nur um das 6-fache.

Der Abgrund hinter unserem Götzen Geld ist entsprechend groß: im Grunde ist nur ca. ein Fünftel unseres angesparten Vermögens von Realwerten gedeckt. Je mehr diese Wahrheit ins Bewußtsein dringt, desto mehr wird Geld seinen göttlichen Status verlieren. Derzeit erliegen wir noch der Religion des Geldes.

Heilsam wird sein, die Wahrheit zu erkennen, dass die jetzigen Rettungspakete für die Banken uns zwar kurzfristig vor einem Zusammenbruch bewahren, jedoch noch keine Basis für eine langfristige Stabilität unseres Wirtschaftens liefern. Denn die inflationäre Überbewertung der Vermögen wird durch die Staats-Bürgschaften aufrecht erhalten.

Unser bisheriges Geldsystem erscheint uns göttlich, weil es sowohl räumlich als auch zeitlich grenzenlos erscheint – Attribute, die das Wesen Gottes ausmachen. Mit dem Euro kann ich weltweit agieren. Mit dem durch Zinseszins ewig wachsenden Geld erlange ich Kontrolle über die Zukunft – eine Macht, die bisher Gott vorbehalten war.

Jetzt wird klar, dass mit zunehmender räumlicher Distanz des Geldverkehrs auch zunehmende Verantwortungslosigkeit um sich greift (Peter Winzeler: „ohne verantwortliches Subjekt prozessierendes Kapital“). Regionale Geldsysteme wie das 1932 in Wörgl herausgegebene zeigen auf, wie wir Geld wieder auf ein menschliches Maß reduzieren können.

Die Studie „Wie wir wirtschaften werden“ der Europ. Akademie der Wissenschaften und Künste zeigt auf, dass unser Geldsystem eine nachhaltige Entwicklung verhindert, indem es systematisch zu wachsender Instabilität, ungerichtetem Wachstumszwang, Kurzfristorientierung und asymmetrischer Wohlstandsverteilung führt.

So liegen seit 30 Jahren die Zinssätze in den führenden Industrieländern weit über der Wachstumsrate der Realwirtschaft, wie bereits Stephan Schulmeister betonte.

Bei hohen Zinssätzen jedoch rechnen sich z.B. langfristige Investitionen in Umweltprojekte nicht – ein wesentlicher Grund, warum der Klimaschutz unfinanzierbar erscheint. Das ist die Kehrseite unseres Götzen Geldes: Positive Zinsen, die wir auf unsere Vermögen verdienen, befördern die Klimakatastrophe.

Wir sollten uns daran gewöhnen, dass in Zeiten gesättigter Märkte und sinkender Wachstumsraten der – von Herrn Kirchgässner zitierte – Zins als Preis für Konsumverzicht einem Zins als Preis für nachhaltigen Vermögenstransfer Platz machen wird. Wir haben es heute oft gar nicht mit Konsumverzicht zu tun, denn 90 % der Vermögen befinden sich in der Hand von nur 10 % der Bevölkerung – die ihr Vermögen gar nicht verkonsumieren kann, sondern es auf den Finanzmärkten anlegen muss.

Unternehmen werden für unser Geld in Zukunft keine Zinsen oberhalb der Wachstumsraten der Realwirtschaft zahlen können.

Anders als von Stephan Schulmeister vermutet kann die Ermöglichung von Null-Zinsen eine Wirtschaft dauerhaft stabilisieren. Als Instrument zur Angleichung langfristiger Zinsniveaus an (sinkende) Wachstumsraten unserer Volkswirtschaften bieten sich negative Zinsen auf Bar- und Giralgeld an, wie sie 1932 in Form von Umlaufimpulsen in Wörgl eingeführt wurden. Dann nämlich können Zinsniveaus langfristiger Anlagen und Kredite marktmäßig gegen Null tendieren – ohne dass unsere Geldwirtschaft zusammen bricht.

Heute erfüllt der Zins neben seiner Allokationsfunktion – die er bei Einführung von Umlaufimpulsen beibehält (die Kreditmärkte bleiben bestehen, die Zinsniveaus bilden sich weiter über Märkte, können nur eben gegen Null tendieren), auch die Umlaufsicherungsfunktion. D.h. ohne einigermaßen hohe langfristige Zinsen legt niemand sein Geld langfristig bei einer Bank an – die von Keynes benannte Liquiditätsfalle. Trennt man die Umlaufsicherungsfunktion vom Zins, kann dieser marktmäßig weitsichtiges und nachhaltiges Wirtschaften unterstützen.

So lange Regierungen und Zentralbanken noch nicht zu dementsprechenden Einsichten kommen ist es weitsichtig, als Unternehmer- und BürgerInnen selbst für die notwendige Relativierung unseres Geldes zu sorgen. Regionales Geld, bei dem die Umlaufsicherungsfunktion von der Allokationsfunktion des Geldes getrennt ist, führt Geld räumlich und zeitlich wieder auf ein menschliches Maß zurück – hierzu hat sich bereits Brigitte Unger geäußert.

Regionalgeld stabilisiert zudem unsere Wirtschaft, indem es als komplementäres Geldsystem in Krisenzeiten antizyklisch die Schwächen anderer Geldsysteme ausgleicht.

Zur notwendigen Relativierung des Geldes zähle ich wie Walter Oswalt zudem die Abschaffung von Haftungsbeschränkungen für Kapitalgesellschaften, die Aktiengesellschaften als auch GmbHs künstlich von Risiken befreien.

Eine Konsequenz der Relativierung unseres Geldes wird sicher sein, dass die durch die hohe Produktivität unserer Wirtschaft geschaffenen Güter und Dienstleistungen zukünftig gerechter verteilt werden können, z.B. in Form des von Götz Werner vertretenen Grundeinkommens. Zur Zeit werden über unser Zinssystem allein in Deutschland jährlich über 400 Mrd. Euro umverteilt – davon erhalten 10 % derBevölkerung 90 %.

 

 

Hierauf antwortet Peter König

Peter König

12.01.2009

Zwischen Irrationalität und Reinkarnation: Gedanken zum Thema Finanzmärkte

Die Börsenkurse befinden sich dieser Tage im freien Fall. Am Freitag, 10. Oktober 2008, hat man Experten sagen hören, die Börse sei irrational geworden. ist Rationalität in diesem Markt denn mit Profit gleichzusetzen?

Nur wenige Experten sprachen von Irrationalität, als die Börsenkurse anstiegen und dadurch Profite entstanden, denen keinerlei substanzieller Wert zugrunde liegt. Nun, da die Kurse einbrechen und Verluste entstehen, denen wiederum keinerlei substanzieller Wert eigen ist, spricht man von Irrationalität. So gesehen trifft die Beobachtung zu: Diese Klagen über die „Irrationalität“ sind selber irrational.

Derzeit heißt es in der Berichterstattung oft, es würden massiv Werte vernichtet und abgeschrieben. Auch diese Ausdrucksweise führt in die Irre. Wir bekommen dadurch den Eindruck, hier würde etwas konkret Fassbares vernichtet, wo doch in Tat und Wahrheit nichts anderes geschieht, als dass Preise runterkommen, die zuvor aufgebläht worden waren. Wenn Börsenkurse steigen oder fallen, mag das seine Folgen haben, doch reelle Werte werden dabei nicht vernichtet.

Meiner Ansicht nach ist das, was uns die Medien derzeit über die Vorgänge in der Finanzwelt auftischen, im wesentlichen Public Relations, die darauf abzielt, jedwede Panik zu vermeiden, um eine unvernünftige emotionale Reaktion zu verhindern. Das ist kein leichtes Unterfangen, denn es gibt in der Tat triftige Gründe, sich über diese Dinge Sorgen zu machen, selbst wenn man von den logischen Details dahinter wenig versteht. Das hat mit der grundlegenden Struktur des Finanzsystems zu tun, wie es uns gegenwärtig zur Verfügung steht. Dieses System steht auf tönernen Füssen, ihn ihm kommt es unweigerlich zu der Art von Schwankungen, wie sie heute zu Tage treten. Wer sich ein solches System zu Eigen macht, handelt sich gelegentliche Zusammenbrüche ein, oder man ruft, wie es in der jüdischen Tradition üblich war, einen „Jovel“ oder ein Jubiläumsjahr aus, wodurch in regelmäßigen Intervallen sämtliche Guthaben und Schulden getilgt werden und alle wieder bei Null beginnen.

Bei meinen Forschungen habe ich mich mit der Frage beschäftigt, was für seelische Kräfte und Bedürfnisse uns dazu bringen, eine bestimmte Art von Finanzsystem zu wählen, und was für Folgen diese Wahl nach sich zieht. Doch dies hier zu erörtern, würde zu weit führen.

Warum ist denn gleich unser gesamtes Finanzsystem und unsere Wirtschaft bedroht, wenn Banken Pleite gehen?

Wenn die Geschäftsbanken zusammenbrechen, reißt das unser gegenwärtiges Finanzsystem mit in den Abgrund, da die Banken im Verbund mit den Zentral- und Nationalbanken das Kerngeschäft unseres Wirtschaftsystems betreiben. Die Banken verfügen in diesem System über das Monopol, die Erschaffung von Geld zu ermöglichen und Geld in Umlauf zu bringen. Sollten die Banken kollabieren, stünden wir ohne Institutionen da, die berechtigt wären, unsere Wirtschaft mit Geld zu versorgen. Das Finanzsystem, wie wir es seit 300 Jahren kennen und das den Motor bildete zur Entfesselung der industriellen Revolution, die uns mit all den Annehmlichkeiten ausstattete, die für uns heute so selbstverständlich sind, würde in sich zusammenfallen und nicht länger existieren.

Allerdings wäre das bei weitem nicht das Ende der Ökonomie. Seinem Wortsinn nach bedeutet dieses griechische Wort ja nichts anderes als „die Aufgaben des Haushalts erledigen“, was wir heute verstehen dürfen als die Gesamtheit jener menschlichen Unternehmungen, die uns mit Gütern und mit Dienstleistungen versorgen. Damit wäre es gewiss nicht vorbei, genauso wenig wie Blumen und Bäume ihr Wachstum einstellen würden. Dass die Banken ausfielen, um über den Waren- und Geldverkehr zwischen Personen und Firmen zu wachen, ihn zu regeln und darüber Buch zu führen, würde gewiss zu einer beträchtlichen Störung des Wirtschaftslebens führen. Doch das Wissen und die technischen Voraussetzungen, diese Leistungen für die Wirtschaft zu erbringen, gingen mit einem Kollaps der Banken nicht verloren. Das könnte und würde mit großer Sicherheit im Verlaufe der Zeit wieder aufgebaut werden.

Was geschieht, wenn sämtliche Sparer und Investoren am Tag X zur Bank gehen und verlangen, dass man ihnen ihr Geld ausbezahlt?

Wenn das geschähe, wäre es für die Gläubiger von Vorteil, wenn sie an die Reinkarnation glaubten, denn bis all diese Auszahlungen abgewickelt wären, würde es mehrere hundert Jahre dauern und höchstwahrscheinlich gingen dabei in etwa sämtliche Bäume der Erde drauf, um ausreichend Banknoten zu drucken.

Selbst wenn bloß ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung die Banken stürmte und sein Geld verlangen würde, reichte es aus, um die Banken kollabieren zu lassen. Darum sind wir derzeit der bereits erwähnten PR-Aktion ausgesetzt. Die Anfälligkeit der Banken hängt unmittelbar zusammen mit einem Baustein des Finanzsystems, auf dem das ganze wacklige Konstrukt beruht: auf der Annahme, es sei relativ sicher, mehr Geld zu schaffen, als reale Werte je erschaffen werden könnten, ganz einfach aus der Überzeugung heraus, dass ohnehin nie sämtliche Gläubiger auf einen Schlag ihr Geld einfordern werden.

Dieser wackligen Grundlage unseres Finanzsystems haben wir ein ungehindertes Wachstum in den frühen Phasen der industriellen Revolution zu verdanken. Damals diente dieses Element als Stimulus und Beschleuniger der Entwicklung. Zurzeit erleben wir, als wie gefährlich sich dieses fiktive Element erweisen kann in den reiferen Phasen der Wirtschaftsentwicklung. Das Platzen der Blase, das wir derzeit durchmachen, kann verstanden werden als ein Selbst-Regulativ des Systems, um das Wachstum zu verlangsamen und auf geringere Größe zu schrumpfen. Mithin würde es sich um einen Prozess der Gesundung und Stabilisierung handeln, doch darüber darf nicht vergessen werden, dass das System weiterhin darauf angelegt bleibt, sich aufzublähen und wieder zu platzen.

Man sieht Politiker beschwichtigend vor die Medien treten und das Volk händeringend um Vertrauen zu bitten. Ist Vertrauen das Rückgrat der Ökonomie?

Der Rhetorik von Politikern und Experten zu vertrauen, scheint nicht gerade ein Gebot von Weitsicht zu sein. Die meisten die uns gut zureden, sprechen entweder in Unwissenheit, oder sie verleugnen und halten zurück, was sie über den wahren Grund der Krise wissen. Bis heute habe ich noch keinen vernommen, welcher der Bevölkerung reinen Wein eingeschenkt hätte. Die von Regierungen beschlossenen Maßnahmen und Finanzspritzen sind Versuche, zwischen Inflation und Deflation einen steten Kurs zu halten und unbeschadet durchzukommen. Beide Extreme hätten einschneidende Konsequenzen. Das heißt, diese Eingriffe in den Finanzmarkt sind durchaus berechtigt, nur ändern sie nichts an den tiefer liegenden Gründen der Krise.

Letztlich ist es aber tatsächlich so, dass Vertrauen das Rückgrat der Wirtschaft bildet. Damit meine ich Vertrauen in den gesunden Menschenverstand, gut mit sich und seiner Geschäftstätigkeit verbunden zu sein und eine gute Beziehung zu seinen Geschäftspartnern zu pflegen. Wer diese Qualitäten pflegt und nährt, wird die Herausforderungen der Zukunft bestehen, so gut wie er die Herausforderungen der Vergangenheit bestanden hat, egal was für ein Finanzsystem wir gerade haben.

Wie steht es mit „Krise als Chance“? Was könnte sich auf lange Sicht als Vorteil des Zusammenbruchs erweisen?

Allgemein gesprochen, wird der gewichtigste Vorteil darin liegen, dass uns diese Krise hinausführen wird aus einer fiktiven, abstrakten und einer sich selbst betrügenden Welt, über die wir uns eingeredet haben, sie sei das Wahre, Normale und Natürliche –eine Fiktion, die von dem Finanzsystem seit dessen Begründung 1692 exakt gespiegelt wird – hin zur Wirklichkeit und näher zur Natur. Das heißt, wir stehen vor einem gesunden Prozess der Rückbesinnung auf das Eigentliche.

Das Wachstum, welches sich daraus ergibt, liegt nicht auf der materiellen Ebene. Materielle Güter haben wir mehr als genug, und die Krise wird hier zu einer Verlangsamung und zu einem Einbruch des Wachstums führen. Auch wenn diese Entwicklung mit Ängsten einhergeht, die durchaus berechtigt sind, werden wir vermutlich auch manch einen Segen entdecken. Die Preise für Güter des täglichen Bedarfs und für grundlegende Lebensmittel sind bereits günstiger geworden. Die Schere der Kaufkraft von Arm und Reich wird nicht weiter auseinander gerissen, wodurch eine Lähmung beider Pole überwunden werden durfte.

Gelegenheiten zum Wachstum nehme ich wahr im immateriellen Bereich: Ich erwarte einen Anstieg von Bewusstheit, Bewusstsein und Intelligenz. Mein persönliches Anliegen ist es, dass eine wachsende Anzahl von Menschen verstehen lernt, was Geld ist und wie der Geldkreislauf funktioniert, so dass wir nicht länger die Verantwortung für das Geldsystem, egal, wie dieses gerade beschaffen ist, von uns weisen und Politiker und Banker für dessen allfälliges Versagen anklagen. Auf die eine oder andere Weise nehmen wir alle in diesem System eine Rolle wahr, die meisten sind sich dessen bloß nicht bewusst. Verfügen wir in dem Bereich über ausreichend Informationen und Bildung – keiner von uns hat in der Schule je etwas über Geld gelernt! –, dann stellen wir uns der Verantwortung und werden eines Tages ein besseres Finanzsystem hervorbringen.

Ganz praktisch möchte ich hier ein kleines zeitgemäßes Experiment vorschlagen: Stellen Sie sich vor, unser Finanzsystem würde gleich morgen zusammenbrechen. Gibt es irgendetwas, dass Sie dann tun würden, was Sie heute nicht tun, oder gibt es umgekehrt etwas, was Sie nicht mehr tun würden, aber heute noch immer tun? Ich schlage Ihnen vor, das, was Sie gefunden haben, gleich hier und jetzt zu tun oder eben aufzugeben.

Dieser Text ist am 13. Oktober 2008 als Interview in der Zeitschrift „SPUREN – Magazin für neues Bewusstsein“ (http://www.spuren.ch) erschienen.

BIOGRAPHISCHE INFORMATIONEN:

Peter Koenig beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Geld. Er leitet Workshops, in denen Teilnehmer ihre Einstellung zum Geld auf einer tiefen Ebene erkennen und heilen. 5 Fragen an ihn aus aktuellem Anlass.

Kontakt zu Peter Koenig: http://peterkoenig.typepad.com/

 

 

Hierauf antwortet Eva Maria Hubert

Eva Maria Hubert

02.02.2009

Mit den Mitteln der Zivilgesellschaft

Finanzkrise – Wirtschaftskrise, wir werden gerade Zeuge, wie sich der laufende Prozess dramatisch beschleunigt, wie politische Akteure in eine Art von konjunkturpolitischem Interventionswettlauf geraten und dabei auf bewährte oder auch nur vermeintlich bewährte Rezepte zurückgreifen. Den öffentlichen Haushalten werden dabei enorme finanzielle Lasten aufgebürdet. Auch Bürgerinnen und Bürger sind beteiligt, bislang allerdings vor allem als Finanziers „letzter Hand“. Denn machen wir uns eines schon jetzt klar: Die Bürger werden schließlich für die monetären und gesellschaftlichen Kosten aufkommen müssen. Da stellt sich die Frage, ob überkommene Verhaltensmuster angesichts einer Krise von historischen Ausmaßen ausreichen werden. Ich meine: Nein! Wichtig ist auch die aktive Beteiligung der Bürger. Vielfach machen sie das schon und bringen über zivilgesellschaftliche Aktivitäten ihre Kreativität ein, machen vielfältige Zukunftsentwürfe bekannt, gestalten die weitere Entwicklung des öffentlichen Raumes mit, kurz: Sie werden im eigentlichen, im besten Sinne politisch.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Nicht blauäugiges Gutmenschentum ist der Antrieb, vielmehr handelt es sich um ein wohl überlegtes, dem öffentlichen Raum verantwortliches Tätigwerden, das in vielfältige Organisationsformen mit unterschiedlicher geographischer Reichweite mündet. Gemeinsam ist solchen Aktivitäten die freiwillige Teilnahme und ihre allgemeine Ausrichtung: gemeinwohlorientierte Lösungsmuster, wenn Märkte wirtschaftlich ineffiziente Ergebnisse hervorbringen, wenn im marktwirtschaftlichen Prozess soziale Defizite entstehen, wenn staatliche oder politische Mängel überschwellig werden. Vielfältiges Engagement – von Umweltverbänden bis zu Globalisierungskritikern – bearbeitet Leitthemen wie „unvollständiger Wettbewerb und vermachtete Märkte“, „Informationsmängel und Intransparenz “ oder negative Externalitäten, die in „Ökologie und Umwelt“ zu Tage treten. Öffentliche Bekanntheit erlangte die Arbeit zahlreicher Bürgerinitiativen beispielsweise gegen die Übernutzung öffentlicher Verkehrswege, gegen Flug- und Straßenlärm, gegen Atomanlagen und gegen die Verschwendung öffentlicher Mittel. In jüngster Zeit nehmen sich Bürgerinitiativen verstärkt der Frage vermachteter Märkte im Energie- und Versorgungsbereich an, ein Problemkreis, der auch ins Visier öffentlicher Wettbewerbshüter geraten ist. Und immer bedeutsamer wird die Aktivität von Webloggern und von privaten Online-Verbraucherzeitungen.

Am historischen Vorbild der Wörgler Arbeitswertscheine, an das diese Reihe erinnert, orientieren sich gerne Bürger und Bürgerinnen, welche den monetären Sektor als Ausgangspunkt wählen. Wie schon damals wirkt komplementäres Geld, etwa in Form von Regiogeld, unspezifischer und ganzheitlicher als die Arbeit themen- oder projektorientierter Initiativen. Gerade in der momentanen krisenhaften Entwicklung können Regiogelder ihre Stärken ausspielen, denn sie ergänzen die Landeswährung dann besonders wirkungsvoll, wenn diese knapp wird. Mit ihrer Hilfe können regionale Wirtschaftskreisläufe geschlossen, der regionalen Geldumlauf angekurbelt und die Wertschöpfung vor Ort gefördert werden. Das stärkt kleine und mittlere Unternehmen und trägt zur Sicherung der Grundversorgung der Bevölkerung aus der Region bei. Vorteilhaft zum Tragen kommen da die Kenntnisse eines jeden Teilnehmers über seine Stadt und seine Region, so dass sich die soziale Kontrolle beziehungsweise die lokale und regionale Transparenz des Wertschöpfungsprozesses erhöhen. Mit anderen Worten: Regiogelder wirken Funktionsmängeln der Märkte entgegen und können so wirtschaftliche Effizienz erhöhen.

Regiogeld-Projekte setzen aber auch auf einer anderen Ebene an und arbeiten der Verschwendung und Erosion von Humankapital, also von Bildungs-, Vital- und Sozialkapital, entgegen. Indem sie kulturelle und soziale Projekte fördern, häufig durch Zuwendung des erwirtschafteten Überschusses, und auch das soziale Miteinander intensivieren, vermögen Währungskomplemente die psycho-sozialen Faktoren günstig zu beeinflussen. Dadurch können sie zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beitragen und die Tendenz zu übermäßiger Fragmentierung der Gesellschaft mindern. Das alles wird deshalb immer wichtiger, weil das Marktrationale die Individuen zu wachsender Mobilität und Flexibilität zwingt. Es drängt sich dadurch ständig tiefer ins Privatleben jedes Einzelnen hinein; die Erosion von Primärbeziehungen, Vereinzelung und Vereinsamung sind nachgewiesene Folge. Ebenfalls nachgewiesen ist die Zunahme von psychischen Erkrankungen, sogar schon bei Kindern. Folglich zeichnen sich bereits hier eine Abtragung von Vitalkapital und der damit verbundene Wohlfahrtsverslust deutlich ab. Zudem werden vielfach zunehmende Anonymität in der Gesellschaft und „Soziale Kälte“ beklagt, das Lebensumfeld wird als immer unwirtlicher empfunden.

Es geht um sehr viel, wir dürfen uns da gar nichts vormachen. Lassen wir uns daher aufrütteln von den Worten Hannah Arendts, die in ihrer berühmten Untersuchung ‚Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft‘ mahnt: „Was moderne Menschen so leicht in die totalitären Bewegungen jagt und sie so gut vorbereitet für die totalitäre Herrschaft, ist die allenthalben zunehmende Verlassenheit. Es ist, als breche alles, was Menschen miteinander verbindet, in der Krise zusammen, so dass jeder von jedem verlassen und auf nichts mehr Verlass ist.“Bürgerinnen und Bürger, welche soziale und politische Verantwortung übernehmen und mit den Mitteln der Zivilgesellschaft an der Entwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft, einer Gesellschaft mit menschlichem Antlitz arbeiten, verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung, ganz besonders in der momentanen Situation, da sich Finanz- und Wirtschaftskrise sprunghaft ausweiten.

 

 

Hierauf antwortet Martin Schürz

Martin Schürz

11.01.2010

Nach der Krise: zurück zu den Werten?

Der Finanzsektor sei so etwas wie der Blutkreislauf im menschlichen Organismus. Und die Gefahr eines Dominoeffekts im Konkursfall eines Finanzinstituts sei so groß, dass ein jedes marode Finanzinstitut vom Staat gerettet werden muss. Das Gemeinwohl in der Krise sei: die Finanzinstitute müssen in der Krise von der Allgemeinheit unterstützt werden, da die Folgen von Zusammenbrüchen für den Finanzplatz unübersehbar seien.

Doch das Gefühl in der Bevölkerung, nun für die Fehler anderer zahlen zu müssen, erzeugt Wut. Friede den Hütten, Krieg den Palästen hieß es 1834 bei Georg Büchner. Die Angst vor einer Empörung gegen die Finanzeliten lässt die Politiker gegensteuern. Sie tun dies aber nicht wirtschaftspolitisch auf dem Weg strenger Regulierungen, sondern predigen lieber Werte im Kapitalismus. Da sich eine Rückkehr zur protestantischen Ethik, wegen einer geringer werdenden Hoffnung auf Entlohnung im Jenseits, verschließt, boomen die Appelle zum Maßhalten im Kleinen. Ein Mentalitätswandel müsse her. Nach dem gescheiterten Kapitalismus auf Pump wird zwar kein Sparkapitalismus verordnet, aber der real existierende Kumpelkapitalismus soll zu einer Gentlemen-Marktwirtschaft mutieren.

Es setzt eine zivilgesellschaftliche Suche nach alternativen Wirtschaftssystemen und zum neuen Menschen ein. Gier der Bankmanager und Gehaltsexzesse werden kritisiert. Doch im zivilgesellschaftlichen Zwischenraum von Markt und Staat liegt nicht der Sitz der Vernunft. Auch die Zivilgesellschaft mit ihren Vorstellungen zum Gemeinwohl bleibt an den gesellschaftlichen Raum der Möglichkeiten gebunden und dieser wird immer kleiner. Die Gesellschaft zerfällt in Arm und Reich, wobei die Reichen reicher werden und die Mitte nach Unten ausfranst.

Sozialwissenschafter diagnostizieren bereits einen neuen Feudalismus. Die Staaten positionierten sich in der Finanzkrise so eindeutig und entschlossen auf Seiten der Reichen, als müssten sie bei Wahlen keine Mehrheiten mehr erzielen, sondern allein das Vertrauen der Aktionäre erlangen. Und tatsächlich, je ungleicher die Einkommen in einem Land verteilt sind, desto unzufriedener sind die Bürger mit der Demokratie und desto geringer ist ihre politische Partizipation. Und dies bedeutet, desto belangloser sind die Interessen der Armen für die Politik.

Nur in einer funktionierenden Demokratie ginge es noch um die Kontrolle der Mächtigen. Die Macht des Kapitals wäre in der Krise sichtbar wie selten zuvor. Doch gerade dadurch, dass es gelingt Bankenhilfspakete so klammheimlich abzuwickeln, dass öffentlichen Debatten notwendige Informationen fehlen, muss deliberative, d.h. auf Argumenten basierende, Demokratie versagen. Bei der Neugestaltung des Finanzsystems beraten gegenwärtig nur die Wölfe die unwissenden Schafe. Und auch auf repräsentative Demokratie ist kein Verlass: parlamentarische Prüfungen zu den Mega-Subventionen werden sich, ob der engen sozialen Netze zwischen Politik und Finanzeliten, stets schwierig gestalten.

In medialen Debatten wird die anti-kapitalistische Rhetorik geschärft und die statements werden schriller. Da werden aus den vormaligen bewunderten Gastgebern der Politiker aus der Finanzwelt über Nacht Bonzen und gierige Bastarde. Und die neoliberalen Verursacher der Krise mutieren zu vollmundigen Kritikern des Kasinokapitalismus. Doch die moralische Empörung gegen die Gierigen hilft den Armen nichts. Sie ist nur für die Eliten funktional, weil sie vom Umverteilungsthema ablenkt.

Dass Demokratie nicht mehr funktioniert und Gerechtigkeit nicht zu haben ist, zeigt die systematische Vernachlässigung des Themas der extremen Vermögenskonzentration vor und nach der Krise. Die Vermögenskonzentration ist auf der ganzen Welt eindrucksvoll: In den USA etwa hält 1% der privaten Haushalte ein Drittel des gesamten Vermögens. Vom privaten Vermögen in Österreich besitzt die untere Hälfte der österreichischen Haushalte fast nichts. Auf der anderen Seite konzentrieren allein die obersten 10 % über die Hälfte des Geldvermögens auf sich und besitzen über 60% des Immobilienvermögens. Die reichsten 5% besitzen fast so viel an Immobilien wie der gesamte Rest der Bevölkerung.

Unter den Bedingungen eines Sozialstaats, der die Ungleichheiten der Markteinkommen weitgehend ausgleichen will, wäre eine solche Vermögenskonzentration nicht Realität geworden. Roosevelt bemühte sich in den 1930er Jahren in den USA neben der damals bereits existierenden Nachlassteuer auch eine Erbanfallsteuer einzuführen. Der Steuersatz lag bei Nachlässen von über 50 Millionen USD bei 70%, da Roosevelt die Gefahren einer dynastischen Vermögenskonzentration erkannte.

Heute sieht es anders aus: argumentiert wird, dass die Krise die ungleiche private Vermögensverteilung ohnehin ein wenig korrigiert habe, weil die Vermögensreichen deutliche Verluste erfuhren. Doch solche Hoffnungen bzw. Befürchtungen materialisieren sich nicht. Die Verluste beim Vermögensbestand sind bereits heute zu relativieren, sofern sie auf Buchverlusten beruhen. Denn diese werden mittelfristig wieder durch Wertsteigerungen ausgeglichen, insbesondere wenn die Vermögensbesitzer weiter  massive staatliche Hilfe erfahren.

Dass es gelingt die Gefahr der Vermögenskonzentration für Demokratie und Gerechtigkeit zu verschweigen bzw. zu verleugnen, hat mit einer inhaltlichen Aushöhlung des Leistungsbegriffs zu tun. Die Reichen werden zu Leistungsträgern nobilitiert. Wäre diese politische Chuzpe nicht erfolgreich, Privilegien als Leistungsbelege zu dechiffrieren, bliebe der Begriff der Leistung an Arbeit gebunden. Und die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit würden es gebieten leistungsferne Bezüge, resultierend aus Vermögenseinkünften, Kursgewinnen und Erbschaften, progressiv zu besteuern. Dazu wird es aber wohl kaum kommen, denn wie formuliert Büchner im Hessischen Landboten so luzid, das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk liegt aber vor ihnen wie Dünger auf dem Acker.